Joachim Castella
I.M.A.G.E.
Institut für Medienanalyse und Gestalterkennung
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In: Spuren. 41, 4/1993, S. 57-60, © beim Autor
In der Mitte der zwei, im Zwischen von Welt
und Ding, in ihrem inter, in diesem Unter- waltet der Schied
Heidegger, Unterwegs zur Sprache
1. Der Unterschied mache einen Unterschied, erklärt Gregory Bateson [1], und niemand wird diese, weil tautologische Aussage ernsthaft bestreiten. Doch was genau ist hierin angelegt, wenn damit mehr als eine sprachlich amüsante Formulierung gegeben sein soll?
Zunächst läßt sich feststellen, daß der Satz "Ein Unterschied macht einen Unterschied." zugleich in beide Richtungen gelesen werden kann, ohne seinen Sinn zu verändern. Anders ausgedrückt handelt es sich um einen selbstrückbezüglichen Satz, d.h. um einen Satz, dem keine eindeutige Gerichtetheit zugeordnet werden kann, der sich der Linearität von Anfang und Ende entzieht. Nicht-linear zu sein ist aber nur ein notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Kriterium für Selbstrückbezüglichkeit, insofern Nicht-Linearität auch Zirkularität bedeuten kann, welche sich aber problemlos wieder auf die Linie abbilden läßt. "Ein Unterschied macht einen Unterschied, macht einen Unterschied ..."
Der obige Satz jedoch stellt keine unendliche Iteration dar, verbleibt vielmehr in der Struktur von Subjekt - Prädikat - Objekt, wobei sich die Besonderheit erkennen läßt, daß Subjekt und Objekt ihre Rolle tauschen können, daß also nicht eine Zirkularität im Sinne einer bloßen Wiederholung vorliegt, sondern die Kreisstruktur sich durch die Beliebigkeit der Richtung auszeichnet. Damit jedoch ist der Abbildung auf die Linie der Weg versperrt, insofern Linearität an die Einmaligkeit des Ursprungs und den sich daraus ergebenden Richtungssinn gebunden ist. Anders gewendet bedeutet dies, daß Selbstreferentialität nicht allein an die Zirkularität gebunden ist, sondern darüberhinaus einer nicht-iterativen, d.h. dual gerichteten Zirkularität bedarf.
Ist Zirkularität gegeben, wenn sich die Katze in den Schwanz beißt, so kann von Selbstreferentialität erst gesprochen werden, wenn der Schwanz zurückbeißt. Damit aber ist die ursprüngliche Rede von Subjekt/Objekt insofern obsolet, als sie ihre Gültigkeit nur innerhalb einer Richtung beibehält, da der Richtungswechsel die Einteilung umkehrt, was des weiteren bedeutet, daß Selbstreferentialität ein nicht-hierarchisches Beziehungsgefüge ist, da sich die Asymmetrie von Subjekt/Objekt mit der Aufhebung der Absolutheit dieser Dichotomie ebenfalls verflüchtigt.
Wenn nun der Satz "Ein Unterschied macht einen Unterschied." sich der eindeutigen Zuordnung bzgl. Subjekt/Objekt verweigert, so darf dies nicht dahingehend verstanden werden, als sei damit der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet, vielmehr soll die die Konsistenz garantierende Zuordnung aus ihrer Eindeutigkeit in eine Dualität überführt werden. Erkennt man in dem Beispiel eine Operation, so wird die von einem Ursprung her konzipierte Unilinearität von Operator und Operand in die bi-originäre Struktur des Chiasmus überführt, wonach der Operator, der auf den Operanden einwirkt selber Operand eines Operators wird, dem er zuvor/zugleich als Operator begegnet(e). D.h. die Tautologie des Unterschiedes wird dahingehend aufgeschlüsselt, daß sich der Unterschied in gegenläufiger Bewegung einmal als Operator/Operand, zum anderen als Operand/Operator begegnet. Selbstreferentialität des Unterschiedes bedeutet dann, daß die Unterscheidung eine chiastische oder dialektische Operation darstellt wonach Unterscheidendes zum Unterschiedenen wird und Unterschiedenes zum Unterscheidenden. Diese Struktur der Selbstrückbezüglichkeit versagt sich jedoch, wie das Diktum Bateson's zeigt, ihrer positiv-sprachlichen Darstellung, da die Sprache der Unilinearität und eindeutigen Subjekt-Objekt-Beziehung verpflichtet ist. D.h. eine strukturale Darstellung der Unterscheidung muß notwendigerweise die Grenzen der Positivsprache verlassen, will sie sich nicht in Bereiche begeben, wie sie als Kondensationspunkte eines Ringens mit der Selbstbezüglichkeit vor dem Dilemma äußerster Verdichtung und gleichzeitiger Sprachlosigkeit im Denken Heideggers erscheinen, wenn das Ding dingt, die Welt weltet und das Nichts nichtet.
2. Spencer Brown versucht beiden Anforderungen Rechnung zu tragen, wenn er einen Kalkül entwirft, der antritt, Selbstreferentialität abzubilden und zwar in einer der Substantialität enthobenen Sprache des Formalen, womit sein Kalkül den Anspruch erhebt, die Form der Unterscheidung operational aufbereiten zu können. [2]
Dabei erscheint die Unterscheidung, deren Notation sich im mark of distinction (.|) ausdrückt, als eine Aufteilung, die den vormals homogenen Raum in zwei nun durch diese Grenzlinie getrennte Räume scheidet. Die Unterscheidung, die sich gemäß des mark vollzieht, definiert sich demgemäß als das Setzten einer Grenze im Raum "with seperate sides so that a point on one side cannot reach the other side without crossing the boundary" [3], wobei die konvexe Seite des mark dessen Außenseite bildet, die konkave Seite als Innenseite erscheint.
Dieser Innenseite gilt es, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, insofern sich hier die Aspektdoppelung der Unterscheidung erkennen läßt, die den Akt der Unterscheidung zum einen in seiner prozessualen Dimension erscheinen läßt, womit das Ziehen der Unterscheidung mit dem Setzen des mark koinzidiert, und die zum anderen das resultativ Unterschiedene generiert, was bei Spencer Brown durch den indizierten Wert der Unterscheidung auf der Innenseite des mark angezeigt wird (p|). D.h. Unterscheidung erschöpft sich nicht darin, als Akt der Grenzziehung reine Teilung des Raumes zu sein (distinction), sondern ist immer und gleichzeitig auch die Bezeichnung (indication) der nunmehr generierten Seiten des mark.
Diese Bezeichnung liefert aber mehr als das bloße Erkennen von Innen- und Außenseite, insofern das Diesseits der Grenze, also der Inhalt der Innenseite einen Wert annimmt, der als value of the expression auch benennbar ist. Somit vollzieht die distinction, indem sie ein Eines gegen ein Anderes in Opposition setzt, simultan auch die indication, da sich eine Unterscheidung immer nur sinnvoll anhand als unterschiedlich erkannter Kriterien vollziehen kann. Diese Kriterien sind aber - einmal gebildet - auch benennbar. D.h. von Unterscheidung in ihren vollen Gehalt kann erst dann gesprochen werden, wenn sie als wechselseitige Gründung und Verwiesenheit von Unterscheidendem ( |) und Unterschiedenem (p|) verstanden wird, die sich im selben Akt simultan generieren. Genau hierin aber bestand das Problem, das sich hinsichtlich seiner adäquaten Abbildung als dieses prozessuale Sowohl-als-auch der Darstellung dem Rahmen der Positivsprache entzog. Wenn nun für Spencer Brown eine Unterscheidung aber auch in jenem simultanen Zugleich von distinction und indication besteht, muß diese Dialektik in irgendeiner Form Eingang in seinen Kalkül finden.
Es zeigt sich, daß das Problem zwar explizit reflektiert wird, die von Spencer Brown projektierte Lösung jedoch nicht der eigentlichen Dialektik der Problemstellung gerecht wird. Dies insofern als er der paradoxal anmutenden Situation, daß eine Unterscheidung die doppelte Funktion von Bezeichnung und Unterscheidung zugleich erfüllen soll, dadurch zu entgehen sucht, daß die Unterscheidung in einer zirkulären Bewegung wieder in das von ihr vormals Unterschiedene eintritt. Mit der Figur des re-entry wird nun aber nicht ein dialektisches Wechselspiel initiiert, da die damit beschriebene Zirkularität sich letztlich wieder in eine lineare Darstellung überführen läßt. Zwischen Unterscheidung und Unterschiedenem läßt sich auch durch das Zurückbiegen der Form der Unterscheidung in das von ihr Unterschiedene eine eindeutige Zeitenfolge nicht umgehen, vielmehr tritt das Verhältnis als ein Abhängigkeitsgefüge von vorzeitiger distinction und nachzeitiger indication in der Figur des re-entry erst deutlich hervor, nicht zuletzt indiziert durch die Präfigierung des Terminus. D.h. wenn mark und value nicht als zwei Seiten einer Medaille aufgefaßt werden, die simultan sich wechselseitig generieren, sondern als zeitlich-zirkulär vermittelte Größen gelten, dann geht die Rede von Selbstreferentialität eigentlich fehl, und verschleiert die implizit angelegte Unendlichkeit in der Stufenfolge von Gründen und Begründen.
Damit erweist sich das Scheitern des Spencer-Brown-Kalküls als ein Kalkül der Selbstreferentialität, insofern er nicht in der Lage ist die hierzu notwendige Dialektik, bzw. Chiasitik abzubilden. Selbstbezüglichkeit als die duale Lesart des Satzes vom Unterschied bedarf aber gerade einer nicht mehr monokontexturalen Fundierung, da die simultane Umkehr von Operator und Operand sich allein von einem heterologischen Standpunkt her konsistent denken läßt. Erst Heterologie, resp. Polykontexturalität ermöglicht dieses Zugleich, in dem sich das Selbe auf sich selbst als das Gleiche rückbezieht.
3. Damit aber ist ein Bereich angesprochen, der sich dem Denken der Identität, des Ursprungs, der Linearität entzieht, aber auch der Präsenz und dem Seienden selbst, insofern Selbstbezüglichkeit ihre operationale Darstellung, und das heißt ihre prozessuale Abbildung, nur in einem strukturalen, non-substantialistischen Raum erfahren kann. Es ist hiermit jene Dimension angesprochen, die sich den Bestimmungen des Positiven und Negativen selbst noch entzieht, insofern diese Dichotomie sich allein auf der Basis der materialen Affirmation und Negation ereignen vermag. Denn Affirmation und deren negatives Spiegelbild, die Negation, verbleiben gerade als Zu- und Absage an Seiendes immer noch in dem dem Nichts/Sein nachgeordneten Bereich des Vorontologischen, des Ontischen. Erweist sich das reine Nichts/reine Sein somit als eine Dimension, die ein Jenseits markiert, das die Alternative von Position und Negation, Ja und Nein, 0 und 1 in die ontische Diesseitigkeit möglicher Entscheidungen verbannt, so läßt sich dieses Diesseits der Menge der vorliegenden Entscheidung, als die Positivität erkennen. Dieser Positivität aber steht die Negativität gegenüber, als jener Bereich der basalen Ermöglichung, oder mit Heidegger gesprochen der Gabe und Spende, daß Seiendes sich überhaupt ereignen kann. Es ist dies der Bereich, in dem sich das Geschehen des Ereignisses ereignet, denn das Ereignis "erbringt das An- und Abwesen in sein jeweilig Eigenes, aus dem dieses sich an ihm selbst zeigt und nach seiner Art verweilt." [4]
D.h. aber, daß dasjenige, woraufhin das Ereigneis als der eröffnende Raum fungiert, wieder eine Form der Präsenz ist, die gleichzeitig als die Ebene angesehen werden muß, auf der sich der Sinn von Sein erkennen läßt. Das Ereignis bleibt somit ein seinthematisches Paradigma, das, selbst raum-zeit-transzendent, dem Sein die Gewähr ist, sich anwesend-präsentisch zu ereignen. Somit ist das Ereignis zwar eine Figur, die sich in der "Tropik der Negativität" verorten läßt, die sich aber als das geforderte "Denken des Außen" nur im Sinne eines genitivus objektivus verstehen läßt. Denn eine Interpretation als das Denken, das sich im Außen vollzieht, das das Außen