Rudolf Kaehr (Gastprofessor für Philosophie)
in: show your hand
diploma projects 1999, dundee (scotland)
Städelschule architecture class, frankfurt am main, germany
dagmar reinhardt, gesa schenk (eds.), 2000
ISBN 3-928071-48-3
(wesentlich erweiterte Fassung, Jan. 2002)
Seit längerer Zeit bin ich damit beschäftigt, Grundformen des Verhältnisses von Kalkül und Kreativität zu bedenken. Der Hintergrund ist die Idee eines Projektes zur Implementierung einer Platform, die den kreativen Prozeß eines Künstlers, Designers, Architekten und Ingenieurs zu unterstützen in der Lage ist.
Kreative Prozess sind oft charakterisiert durch eine undurchschaubare Vermengung von Strategien der Problemlösung und von genuin kreativen Entwürfen der Inspirationen.
Unter Kreativität verstehe ich weniger die Strategie der Lösung eines Problems als vielmehr der Entwurf eines neuen Horizontes und die Ermöglichung einer neuen Kontexturalität, die den Rahmen zur Auf-Lösung der Probleme bereitstellt und den Spielraum völlig neuer Möglichkeiten eröffnet und so eine Verwerfung von Problem und Lösung bewirkt.
"Creativity can variously refer to problem solving, non-linear thinking or inspirational creativity (from the Muses). The term can be applied to thought processes in the arts or in sciences. Creativity is not easy to define, but can be construed as a process whereby there is an evolution towards a solution to a problem which makes use of a combination of logical and illogical mechanism. When faced with any creative task or problem, it is essential to be able to investigate a variety of alternative solutions." (J. Sedivy, H. Jonson in: CREATIVITY AND COGNITION 1999, Loughborough University, England)
Es stellt sich heraus, daß kreative Prozesse blockiert werden können dadurch, daß die Orientierung und Fokussierung auf die Problematik und ihrer Lösung im Vordergrung steht und den Gesamtprozeß auf das Ziel der Problemlösung hin orientieren. Ziel ist es, diese Vermengung, Überlagerung, Verwirrung von Problemlösung und Kreativität mit hilfe der DiamondStrategien zu entwirren.
Niemand möchte die Chance von einer Muse geküßt zu werden verwerfen. Doch warum soll der Kuß der Muse einzig aus dem unerreichbaren Reich des Irrationalen kommen; warum soll es nicht möglich sein aus dem Reich des Über-rationalen einer transklassischen Maschine inspiriert zu werden?
Solange jedoch Maschinen und ins. Computersysteme als Werkzeuge verstanden werden, können sie einzig eine Hilfe für Problemlösungen sein, jedoch kein Medium der Ermöglichung von Kreativität und Innovation.
"A very crucial question is whether the pencil works after the brain or before. In fact what should be is that you have an idea, you think and then you score by means of words or drawing what you think. But it could also be other way round that while drawing, your pencil, your hand is finding something, but I think that´s a dangerous way. It´s good for artist but it´s nonsense for an architect." (H. Hertzberger, Lessons for Students in Architecture, Rotterdam 1991)
Was das egologisch fundierte Denken nicht mehr kontrollieren kann, braucht nicht verworfen zu werden nur weil es nicht mehr in die Monokontexturalität des Denkens paßt, vorausgesetzt es wird ver-/ent-ortet im polykontexturalen Mechanismus des Begriffs der Sache. Die Herrschaft der Kopfarbeit über die Handarbeit als skripturaler Arbeit ist immer noch bestimmt durch die Angst vor der Entäußerung des Denkens und ihrer Realisation in der mit dem Logos kooperierenden transklassischen Maschine.
Es ist nicht leicht, Kreativität am Werk zu sehen und zu beobachten, wenn sie als Inspiration verstanden wird. Architektur als Freies Entwerfen bietet eine besondere Chance, die verschiedenen Manifestationen von Kreativität direkt aus der Gestaltung der jeweiligen Arbeitsumgebungen zu lesen.
Orientierungen: a) am Problen selbst , b) an der Problemlösung als Ziel, c) an den Wegen zwischen Problem und Lösung als Hierarchie und Eindeutigkeit der Strategien der optimalen Problemlösung, d) am Unterwegssein selbst als Heterarchie und Ambiguität von Prozessen und Produkten, e) an der Auf-Lösung bzw. Verwerfung von Problem und Lösung im Spiel.
- Ein-eindeutigkeit: Ein Problem eine Lösung: Striktheit und Linearität
- Ein-mehrdeutigkeit: Ein Problem mehrere Lösungen: Generalisierungen
- Mehr-eindeutigkeit: Mehrere Probleme eine Lösung: Reduktionsmethoden
- Mehr-mehrdeutigkeit: Mehere Probleme mehrere Lösungen: Permanenz
- oder auch: Kein Problem viele Lösungen, viele Probleme keine Lösungen.
Es geht um die Bewegung: Bauen heißt Be-Wegung. Die Frage ist nicht, was wird bewegt, sondern wie wird bewegt. Das Medium und die Weise der Bewegung ist die Sprache, genauer der Text. Bauen heißt Texten, Architektur ist ArchiTeXtur. Die Sprache ist das Haus des Seins. Und das Sein ist das Gefängis der Sprache. Die Gewalt des Seins. Die Gegengewalt des Nichts und der Leere.
"Einen Weg bahnen , z.B. durch ein verschneites Feld, heißt heute noch in der alemannisch-schwäbischen Mundart wegen. Dieses, transitiv gebrauchte Zeitwort besagt: einen Weg bilden, bildend ihn bereithalten. Be-wegen (Be-wegung) heißt, so gedacht, nicht mehr: etwas auf einen schon vorhandenen Weg hin- und herschaffen, sondern: Weg zu (...) allererst bringen und so der Weg sein." Heidegger, Unterwegs zur Sprache, S. 261, 1959
Jedoch, was heißt Weg, einen Weg wählen, was heißt Unterwegssein, einen Weg wegen? Der Weg: weg von/Weg hin. Das Wegen ermöglicht den Weg, Ziel und Unterwegssein. Der Weg als methodos und das Wegen als Dekonstruktion und Dissemination des Wegens der Methode.