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2.3 Subjektivität als distribuierte - subjektives Subjekt, objektives Subjekt


Wenn nun also offensichtlich ist, daß Wille und Vernunft nicht zwei distinkte Fähigkeiten des Subjekts sind, die sich als Äußerungen zweier ontologischer Sphären identifizieren lassen, bleibt die Frage, warum und auf welchem Weg Volition und Kognition in dieser geläufigen Dualität erfahren und wie eine dem Phänomen angemessene Sichtweise erlangt werden kann.

Auf dem Weg dahin rekurriert Günther auf die Struktur, in der sich Subjekte gegenübertreten, d.h. auf Subjektivität als distribuierte, wie sie sich über die einzelnen Individuen als selbstreferentielle und heteroreferentielle Subjekte spannt. Denn Subjektivität ist ein Phänomen, das über den logischen Gegensatz des `Ich als subjektivem Subjekt' und des `Du als objektivem Subjekt' verteilt ist, wobei beide eine gemeinsam vermittelnde Umwelt haben."1 Was hiermit gemeint ist wird deutlich, wenn man sich das Schema vor Augen führt, das Günther anhand seiner Protagoras-Analyse in Das Ende des Idealismus als das Grundmuster der dialektischen Dialogsituation entwickelt.

Der Protagoras thematisiert das Problem der Lehrbarkeit der Tugend, wobei Socrates zu Beginn die These des Protagoras, daß Tugend eben lehrbar sei, in Abrede stellt, am Ende jedoch beide den umgekehrten Standpunkt einnehmen. Sieht man von der inhaltlichen Ebene ab und wendet sich der Struktur dieses Dialoges zu, so lassen sich die kommunikativen Positionen der beiden Gesprächspartner innerhalb des Dialogs in zwei einander absolut unzugänglichen Bewußtseinsräumen"2 erkennen. D.h. die Bewußtseinsvorgänge des Socrates sind für seinen Gegenüber nie als die eigenen erlebbar und umgekehrt. Anders ausgedrückt heißt dies: Ich und Du negieren sich also im dem Sinne, daß jeder für sich Subjekt und für den anderen Objekt ist. Sie stehen sich also gegenseitig in totaler Negation gegenüber."3 Obzwar diese Negation als eine totale begriffen wird, zeigt der Dialog aber, daß beide miteinander kommunizieren, sie also auf dem Umweg über ein gemeinsames Drittes in Kontakt treten und bleiben können. Dieses gemeinsame Dritte wird durch die gemeinsame Umwelt konstituiert, in der sich beide selbst sowie den Anderen finden. Bezüglich dieser Umwelt befinden sich die Dialogpartner insofern in der gleichen logischen Situation, als beide qua Subjektivität nicht in der Lage sind sich mit diesem Objektbereich zu identifizieren. Dieser Objektbereich übernimmt, Hegelisch gesprochen, die Vermittlung".4 Wurde oben gesagt, daß in dieser Konstellation jeder nur für sich selbst in der Lage ist, sich als Subjekt anzuerkennen, während der andere für ihn in Gestalt des Objekts auftritt, so läßt sich der Objektbereich dahingehend weiter spezifizieren, daß die vermittelnde Umwelt sich für jeden der beiden aus dem Objektbereich plus dem Anderen zusammensetzt. D.h. für Sokrates also ist Protagoras als Du-Phänomen ein Teil der Sokratischen Umwelt und gehört somit fraglos für ihn zum Objektbestand der Welt, von dem er durch den Abgrund, der sich überall zwischen Ich und Nicht-Ich auftut, bedingungslos getrennt ist."5 Analog stellt sich die Situation aus der Sicht des Protagoras dar, womit sich das Verhältnis beider zueinander und zu der als Vermittlungsinstanz fungierende Umwelt in folgender Weise schematisieren läßt.

Diese Schema6 läßt sich dahingehend interpretieren, daß S1, S2 die beiden Subjekte vertritt, denen die Umgebung U gemeinsam ist. Ich und Du sind mit dieser Umwelt durch Doppelpfeile verbunden, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, daß die Information, die beide von dieser Umgebung erhalten symmetrisch ist. Diese Umgebung stellt mithin eine reine Objektivität, ein subjektloses Bewußtsein dar, aus dem sich jede lebendige Subjektivität mit dem Satz `Das bin ich nicht' unbedingt ausschließt."7 D.h. der Umgebungsbegriff, der in U angelegt ist, ist eigentlich der des Alltags-verständnisses, das ja die eine Umwelt, in der alle Subjekte sich vereint finden annimmt. Es zeigt sich jedoch, daß diese Gemeinsamkeit der Umwelt für alle nur unter der Bedingung zu erlangen ist, wenn man bereit ist, dieses so gestaltete gemeinsame Universum von jeglicher Subjektivität zu befreien. Dieser Punkt wird durch die beiden Platzhalter U1, U2 ausgedrückt, es wird so das naive Bild des Wissens, in dem es S1und S2 ausschließlich mit U zu tun haben, in einen dialektischen Wirbel gezogen. Das Verhältnis von S1 und S2, das ursprünglich ganz undialektisch zu sein schien, kompliziert sich jetzt nämlich dadurch, daß S1 ein Universum besitzt, das von demjenigen, dem sich S2 zugehörig fühlt, verschieden ist."8 Es zeigt sich nämlich, daß das Universum in dem S1 sich bewegt, zusammengesetzt ist zum einen aus dem subjektlosen Universum U, sowie dem ihm gegenüber befindlichen Subjekt S2, zuzüglich dessen an S1 adressierten Äußerungen. Damit ist das Universum für S1, wenn man von der artifiziellen Konstruktion U absieht, immer d