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1.4 Die kybernetische Maschine als Garant der Geschichte


Abschließend soll in diesem Kapitel der Gedankengang zurückgeführt werden auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtung, die ihren Lauf ja von einer geschichtsphilosophischen Erörterung nahm, ehe sie der von Günther hiermit verwobenen Metaphysik der Maschine folgte.

Die geschichtspessimistische Perspektive Spenglers sei daher noch einmal kurz skizziert: Hat der Mensch, so er als historisches Wesen über seine rein biologische Daseinsverfassung hinaus betrachtet wird, Geschichte nur in dem Maße, in dem er sich von der frühzeitlichen Primitivität zum Entwurf einer Hochkultur emporschwingt, so ist das Absinken eines solcherart gefaßten hohen Menschentums zu dem ihm ursprünglich vorausgehenden geschichtslosen Dasein vorprogrammiert, als mit der vollständigen Ausbildung einer Hochkultur der Imptetus für eine progressive, stabile Entwicklungsperpetuierung genommen ist. Es sind dem Menschen im Moment der vollständigen Emanzipation von der Natur die letzten Reservoirs sinnvoller Existenzgestaltung genommen, ihm bleibt, um Günthers Worte aufzunehmen, allein der unausweichliche Rückfall in die Dumpfheit einer Existenz, in der sich das historische Tempo derart verlangsamt, daß es immer weniger vom trägen Rhythmus des Biologischen zu unterscheiden ist."1

Ist für Günther der faustischen Kultur in der archimedischen Maschine ein Mittel erwachsen, sich sowohl vollständig von der Natur zu emanzipieren, als auch der Bedrohung durch den Tod zu entgehen, so muß das nächste Ziel darin erkannt werden, daß man kalt und positiv angibt, in welchem Sinne die spirituelle Auseinandersetzung des historischen Menschen mit der Natur noch nicht zu ihrem Ende gekommen ist".2 Denn ist abendländische Rationalität in der Geschichte immer und ausschließlich eine Theorie des totem Dinges"3 gewesen, so ist der Bezugsgrund, den sie in den Blick nehmen kann, also ihr genuines Gegenstandsfeld, welches allein sie durchdringen und bewältigen vermag, die Sphäre des Objektiven, die ungelebte Materie. Rationalität somit als Technikrationalität.

Daß Technikrationalität sich in derart umfassender und rasanter Form ausbilden konnte, die schließlich zur Überwindung der Natur in der abendländischen Kultur führte, findet seinen mytho- und psychogenen Grund in jenem Grenzkriterium, das Günther für die Ausdifferenzierung von archaischer Kultur und regionaler Hochkultur als das entscheidende ansetzte. Dies lag in der in primitiven Kulturen noch nicht vollzogenen Trennung von Seele und Ding. Auf der Folie dieser Dichotomie, also dem Wissen, daß hier irgendwo ein existentieller Abbruch zwischen zwei kosmischen Welten existiert"4, erwächst dem Technik handhabenden Menschen im Bereich des Mechanischen mit der Maschine eine Gegen-stand, der ihm zwar das Mittel ist, Natur zu durchschauen, nachzuvollziehen und endlich zu beherrschen, der aber als Gegenstand diese Funktion allein für die Sphäre des Objektiven, maximal wie gesehen für das objektive Subjekt zu leisten imstande ist. Die vollzogene Trennung von Seele und Ding generiert die Maschine als Emanzipator des Menschen von der Natur, wobei die Natur, die sich in ihr spiegelt, einzig und zur Gänze die unbelebte, geist- und seelenlose Objektdimension umfaßt. Die Natur, von der der Mensch sich hier losgesagt hat, ist ausschließlich Dingwelt."5

Günther hält an diesem Punkt Spengler zugute, daß auf dem Boden der für Spengler zeitgenössischen, d.h. klassischen Maschinentheorie die totaliter vollzogene Absonderung des Toten und Seelenlosen von Geist und Bewußtsein"6 durchaus als Schlußpunkt kultureller Fortentwicklung erkannt werden könne, wirft aber gleichzeitig die Frage auf, ob und inwieweit einer Befreiung von der unbelebten Natur eine Befreiung von der belebten, beseelten Natur gegenübersteht. Das Urteil ist eindeutig: Eine geistige Befreiung hat nicht stattgefunden."7 D.h. in dem Maße, in dem mit der Technik die Beherrschung der unbeseelten Natur, des Objektbereichs sich vollzieht, Wird die Dimension der beseelten, geistbehafteten Natur, der Subjektivität - sowohl der eigenen, als auch der dem Menschen als das Du des anderen begegnenden - außer acht gelassen. Die klassische Maschine als Instrument der (Um)Weltbewältigung repräsentiert das tote Ding, sie ist das Inkarnat der Technik-Ratio, als solches der Betrachtung offenbar, also ungefährlich. In der Konsequenz erwächst dem Seelischen, dem heißen göttlichen Funken hieraus die Bestimmung der Negation dieses Bereiches. Seelisch nämlich ist immer das - und nur das - was nicht-maschinell und nicht-mechanisch begriffen werden muß."8

Angesichts der Tatsache, daß, obgleich sämtliche Hochkulturen diese Grenze ziehen, sie bei der grundsätzlich vorzufindenden Trennung von Natur und Geist, die konkreten Distinktionen der verschiedenen Geistvorstellungen sich jedoch in je eigenen und divergierenden Ausformungen vollziehen, drängt sich für Günther die Frage auf, inwieweit diese vielfältigen Differenzen in dem positiven Erlebnis von Subjektivität"9 nicht Indiz sind für die Kontingenz und Revisionsbedürftigkeit der bislang vollzogenen Einteilung von Seele und Ding. Daß und in welcher Weise diese Grenze brüchig und nicht mehr haltbar ist - dieser Gedanke klang ja bereits oben kurz an - wird vollends offenbar, wenn die Entwicklung der neusten Maschinen, der Komputer, erweist, daß das tote Objekt, der Mechanismus in der Lage ist, Funktionen und Aufgaben zu erfüllen, die bislang dem mit Geist versehenen Subjekt reserviert schienen. Es heißt, daß Komputer Differentialgleichungen lösen, algebraische und logische Theoreme prüfen, Entscheidungen treffen können, daß sie Gedächtnis haben, lernfähig sind, Spielstrategien entwickeln und mathematische Beweise entdecken."10 So entsteht mit dem Komputer eine Maschine, die über die Möglichkeit der klassischen Maschine hinaus in der Lage ist, nicht bloß die Auflehnung gegen die unbeseelte Dingnatur zu vollziehen, die vielmehr auf die eingeforderte geistige Befreiung zielt, also die Emanzipation des Subjekts von einem tradierten, jedoch inkorrekten Subjektivitätsbegriff einleitet. Denn umfassen die Leistungs-möglichkeiten der Maschine des neuen, nicht mehr auf dem archimedischen Hebelprinzip basierenden und daher transklassischen Typs, nun auch jene Bereiche, die bis dato als subjektspezifisch und -konstitutiv erachtet wurden, so muß angesichts der Resultate, die die Kybernetik liefert, die traditionell markierte Grenze zwischen Subjekt und Objekt deutlich in Richtung auf das Subjekt hin verschoben werden.

Die Kybernetik gerät somit in die Rolle, sowohl den Themenkomplex als auch das notwendige Instrumentarium bereitzustellen, das notwendig ist, die entscheidende Aufgabe vorzugeben, deren anzugehende Bewältigung dem Menschen den basalen Grund einer fortdauernden Historizität liefert. Denn wenn wir heute der Seelenseite noch pseudo-subjektive Daten zurechnen, die sich schließlich als objektive Eigenschaften der Umwelt demaskieren lassen, so bedeutet das, daß an der bisherigen Geistesgeschichte und dem Selbstverständnis des Menschen Erhebliches zu korrigieren ist. Der Prozeß dieser Korrektur ist dasjenige, worum es sich in der nächsten Großepoche der Weltgeschichte handeln wird." Die Richtung dieser Korrektur ist nun evident. Es gilt mit der zunehmenden (An)Erkenntnis weitreichender, vormals allein zum Subjekt gehörig geglaubter Bereiche als nunmehr der Objektwelt eignend, eine kathartische Reduktion herbeizuführen, welche approximativ auf eine von fälschlicher Überladung befreite Subjektivität zielt. Approximativ deswegen, weil für Günther ein Offenbarwerden der Subjektivität vollständig nie vollzogen werden kann, da die Demaskierung der Subjektivität, die im Komputer erfolgt, niemals zu ihrem Ende kommen kann. Die vollendete Selbsterkenntnis der Seele im Objekt widerspricht sowohl dem ureigensten Begriff der Subjektivität als dem der Maschine."11

Damit ist der entscheidende Hinweis gegeben, inwiefern die Kybernetik resp. der Komputer, ein Fortführen der Geschichte ermöglicht. Gilt es als geschichtseröffnende Aufgabe, die Verschiebung der Trennlinie zwischen Subjektivität und Dingwelt aufzunehmen, so stellt die kybernetische Maschine das Mittel dar, anhand dessen dieser Subtraktionsprozeß von Nicht-Ich aus dem Ich vollzogen wird. Dies dergestalt, als die Maschine unter der Gesetzlichkeit betrachtet wird, in der Bewegungscharakter des Erlebnisses in den Bewegungscharakter des Ereignisses, das sich zwischen Objekten abspielt, übergeführt wird."12 Das Ereignis ist so begriffen das objektivierbare, ablesbare und beschreibbare Tun der kybernetischen Maschine. Als Tätigkeit muß aber auch, da es nicht unter das Dinghafte subsumierbar ist, das Subjekt erfaßt werden, womit sich die Leitfrage abzeichnet: wie reflektiert und begreift sich das Ich als eine Tätigkeit in der Welt?"13 Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich nunmehr allein aus der Beobachtung dessen, was der Komputer tut, wenn er die oben skizzierten Leistungen vollzieht, welche nun unwiderlegbar aus dem Bereich des Subjektiven in die Sphäre des Objektiven eingegliedert sind. Die kybernetische Maschine wird damit zum Vehikel der Erkenntnis, die eine sich ausdehnende Reduzierung genuin subjektiv geglaubter Funktionen und Fähigkeiten konstatiert. D.h. das Ich vollzieht den für den faustischen Menschen schmerzhaften Prozeß einer Über- und Abgabe der für es nunmehr pseudokonstitutiven Bereiche an das tote, unbelebte und unbeseelte Objekt, das ihm im selben Moment den Spiegel eines gereinigten Subjektivitätsbegriffs entgegenhält.

Diese Übergabe soll ja gerade nicht in der unbelebten Natur eine neue Geistigkeit gründen, sie soll vielmehr helfen, gewesene Selbstreflexion und sogenannte Bewußtseinsfunktionen in rein objektive Seinsvorgänge zu übersetzen."14 Ausdrücklich weist Günther darauf hin, daß die Grenzverschiebung in Richtung auf das Subjekt hin dieses nie in seiner grundsätzlichen Existenz erschüttert oder gar auflöst, denn die Konstruktion objektiver Modelle von Bewußtseinsinhalten, [...] setzt echtes subjektives, sich selbst transparentes und dem Modell gegenüber introszendentes Bewußtsein voraus."15 D.h. aber, daß die historische Aufgabe der Implementierung von ursprünglicher Subjektivität in den Mechanismus grundsätzlich nie dazu führen kann, ein deckungsgleiches Analogon der vollen, subjektiven Subjektivität im Robot zu kreieren. Es handelt sich also garnicht darum, eine `Seele' zu konstruieren. Wer den letzteren Vorschlag wirklich machen wollte, gehört unter ärztliche Beobachtung. Wohl aber ist es eine ernsthafte wissenschaftliche Frage, ob es möglich ist, partielle Bewußtseinsräume vom tierischen bzw. menschlichen Organismus abzuspalten und auf einen (trans- klassischen) Mechanismus zu übertragen."16

Wird der Mensch also mittels des Komputers als Gegenstand der Erkenntnis in die Lage versetzt, die Begrenztheit seines Ichs transparent und manifest zu machen, so ist die geschichtsgründende Funktion der kybernetischen Maschine mit der Aufgabe des Menschen, die Beseelung des Stoffes als seine künftige Weltgeschichte"17 zu be- und ergreifen, noch nicht vollständig erschöpft. Denn ebenso, wie der Mensch die technischen Hilfsmittel zur Komplementierung und Kompensierung eigener physischer Unzulänglichkeit ergreift, ebenso leistet der Komputer diese Hilfestellung im kognitiven Bereich. Mithilfe der kybernetischen Maschine zeichnet sich ab, daß unser Geist in größere Tiefen der Wirklichkeit dadurch dringen könnte, daß er sich analoger Prothesen zur Erweiterung und Stärkung unserer Bewußtseinsfunktionen bediente."18 D.h. die kybernetische Maschine wird auf einem zweiten Weg das Mittel, das dem Menschen die Perspektive einer noch nicht zu übersehenden Geschichte eröffnet. Denn wenn eine Denkprothese solcher Art in Problemdimensionen vorstößt, die dem Menschen bislang noch unerschlossen blieben, so darf hierin ein solches Aufgabenfeld vermutet werden, das das von Spengler vorgezeichnete Ende der menschlichen Geschichte, wenn nicht zur Gänze aufhebt, so doch auf unbestimmte Zeit hinausschiebt. Ein Schritt zu einer solchen weiteren [...] neuen Geschichtsepoche aber ist die Konzeption der kybernetischen Bewußtseinsanalogie, in der der Mensch erstmalig sein funktionelles Subjektsein derartig an das natürliche Sein abgibt, daß in dieser Abspaltung die Subjektivität qua Subjektivität erhalten bleibt. Es ist uns heute noch völlig unfaßbar, wie wir ein Ich erfahren sollen, in dem alle Ichfunktionen von einem Es (und nicht von einem Du) vollzogen werden. Aber man vergesse nicht: in dieser unserer gegenwärtigen Situation findet wieder eine metaphysische Wiederholung statt. Als die von Gott abgelöste menschliche Subjektivität sich durch den `Sündenfall' selbständig machte, konnte ihr Schöpfer sie nicht mehr erkennen und rief: `Wo bist Du?' Jetzt ist die Rolle des Schöpfers auf uns übergegangen! Wir suchen jetzt auf kybernetischen Wegen und haben zu warten, bis unsere eigene Stimme uns aus unserem kybernetischen Bilde im Es anrufen wird. Wenn das aber geschieht, dann sind wir es nicht mehr, was aus diesem Bilde spricht. Wir haben unsere Identität gewechselt."19

1G. Günther: Maschine, Seele und Weltgeschichte = Beiträge III, S.211-235, hier S.212 Das Grundmuster des Spenglerschen Denkens, das sich als Dreischritt von Aufstieg, Vervollkommnung und Verfall umreißen läßt, folgt einem klassischen Schema, das sich auf einem anderen Gebiet, der Kunstgeschichte, bereits Mitte des achtzehnten Jahrhunderts findet. Johann Joachim Winckelmann, der Begründer der Archäologie und Kunstgeschichte, erkennt in der Kunst des Altertums eben jene Parabel, wonach auf die Stufe der höchsten Vollendung der Kunstfertigkeit, die er in die Zeit des Laokoon datiert, zwangsläufig, als Ergebnis vollkommener thematischer und technischer Verausgabung, der Rückfall und Abstieg in minder qualifizierte, derivative Stufen erfolgt. Vgl. J.J. Winckelmann: Geschichte der Kunst des Altertums. Hrsg.v.Victor Fleischer, Berlin Wien 1913
2G. Günther: Beiträge III, S.215. Hervorhebung von J.C.
3a.a.O., S.218
4a.a.O., S.223
5a.a.O., S.219
6a.a.O., S.223
7a.a.O., S.219
8a.a.O., S.223. Hervorhebung im Original.
9a.a.O., S.224
10a.a.O., S.226
11a.a.O., S.233
12a.a.O., S.229. Hervorhebung im Original
13a.a.O., S.230
14a.a.O., S.232
15G. Günther: Das Bewußtsein der Maschinen. S.24
16a.a.O., S.201
17a.a.O., S.152
18G. Günther: Beiträge III, S.231
19a.a.O., S.53f


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