4.1 Das Ereignis als negative Spendung der Präsenz (Heidegger)
Eine tatsächliche Grenze aber tut sich erst dann auf, wenn die trügerische Alternative von positiv-negativ als eine Wahlmöglichkeit innerhalb der Präsenz selbst demaskiert ist, die allein eine Entscheidung zwischen qualitativ gleichem offeriert. Erst dann kann mit der Verwerfung dieser Alternative insgesamt, d.h. mit dem überhaupt ersten Markieren einer kategorialen Schnittstelle ein Bereich in den Blick treten, der sich als echte Negativität erkennen lassen könnte, der seine Sichtbarkeit und Transparenz durch seine radikale Andersartigkeit so erschwert. Sichtbarkeit und Transparenz meint hier das Erscheinen in der Positivsprache, meint also das paradoxale Unterfangen, die Prozessualität der Semiosis einer Sprache des Gesetzten (ponere = legen, stellen, setzen) mit eben den Mitteln dieser Sprache selbst darzustellen. Und da das Gesuchte so ganz verschieden ist, soll die schwierige Annäherung erfolgen, indem es zunächst als das ausgesagt wird, was es nicht ist, ohne dabei dem Fehlschluß zu unterliegen, aus den möglichen Umkehrungen an sein Wesen gelangen zu können. Dies, was X geheißen wird [...], dies `ist nicht' dieses noch jenes, nicht sinnlich noch intelligibel, nicht positiv noch negativ, nicht drinnen noch draußen, nicht übergeordnet noch untergeordnet, nicht aktiv noch passiv, nicht anwesend noch abwesend, nicht einmal neutral, nicht einmal dialektisierbar in einem Dritten, ohne mögliche Aufhebung und so weiter. Dieses ist also nicht ein Begriff noch gar ein Name, trotz des Anscheins. Dieses X eignet sich, gewiß, für eine ganze Reihe von Namen, aber es nennt eine andere Syntax/es ruft nach einer anderen Syntax, es geht gar noch über die Ordnung und die Struktur des prädikativen Diskurses hinaus. Es `ist' nicht und sagt nicht dies, was `ist'. Es schreibt sich ganz anders."1 Aus der Länge und beinahe schon litanaihaften Intensität dieser Passage spricht deutlich die Eindringlichkeit aber auch deren Notwendigkeit, mit der die Ganz-Andersartigkeit vor Augen geführt werden soll, welche sich den Paradigmen des prädikativen Aussagens entzieht. Es ist eine Ganz-Andersheit, die nie eine Je-Andersheit ist, da ein solches je" immer nur das Partikuläre des prädikativen Diskurses ist, dessen Andersheit demgemäß aber nur seine ihm zugehörige Negation wäre. Damit wäre jedoch die Grenze, die sich jenseits des Wechselspiels positiv - negativ" aufspannt, nicht erreicht, geschweige denn überschritten. Die Ganz-Andersartigkeit aber transzendiert als Ermöglichungsgrund dieser Partikularitäten deren Gesamt, wobei transzendieren sich eben nicht darin erschöpft, reiner Gegenbegriff zu sein, sondern auf die kategoriale Nichtfaßbarkeit innerhalb dieser (Gegen-)Begrifflichkeit hindeutet.
Wo aber lassen sich nun, wenn überhaupt, die Spuren oder Anzeichen dieser Ganz-Andersheit, dieses gesuchten und bislang nur negativ bestimmten X" ausmachen, worin, woran, seine Konturen erkennen?
Einen ersten Hinweis liefert Heidegger, für den das gesprochene und verschwiegene Sprechen des Menschen immer ein Entsprechen der Sprache ist.2 Der Mensch entspricht der Sprache und gelangt durch sein Sprechen/Schweigen allererst zu seinem Wesen, "weil für das Sein des Da, das heißt Befindlichkeit und Verstehen, die Rede konstitutiv ist.3 Zeigt sich der Mensch als das Sein, das das Wort ergreifen kann, das redet4, so gelangt das Dasein über das Wort dahin, "daß dieses Seiende ist in der Weise des Entdeckens der Welt und des Daseins selbst"5 , es gelangt zu sich selbst, in sein Eigenes. Oder anders: "Das Ereignis verleiht den Sterblichen den Aufenthalt in ihrem Wesen, daß sie vermögen, die Sprechenden zu sein. [...] Das Ereignis ist das Gesetz, insofern es die Sterblichen in das Ereignen zu ihrem Wesen versammelt und darin hält."6
In dem hier verfolgten Unterfangen, also der Suche nach einer näheren Konkretion des "X", ist die Heideggersche Denkfigur des Ereignisses, die mancher geneigt ist, leichthin als terminologisches Konstrukt zirkulärer Tautologie abzutun, nun nicht allein von Interesse, weil sie an einer Schnittstelle von Sprache und Sein, zumal in der Form des Daseins, angesiedelt ist. Auf eigenartige Weise scheint das Ereignis Sein und Sprache gleichermaßen zu verbinden und zu gründen. Denn wenn der Mensch unter dem Gesetz des Ereignisses in sein Wesen gelangen kann, dieses Gesetz ihm aber nur gegeben ist, so er zur Sprache kommt, gleichzeitig jedoch die Sprache nicht mit dem Ereignis koinzidiert, so muß das Ereignis eine diesen beiden Bereichen (Sprache und Dasein) vorgelagerte Dimension darstellen, um es zunächst so allgemein wie möglich auszudrücken.7 Genau darin aber dem Wort und dem Sein aus- oder vorgelagert zu sein, lag jene Bestimmung, die bislang in positiver Weise von dem gesuchten "X" angegeben werden konnte. Wenn aber das Ereignis sich dem Sein wie der Sprache selbst entzieht, dann darf es als überaus vielversprechend angesehen werden, einen Blick darauf zu werfen, wie Heidegger dem Ereignis nähere Kontur zu verleihen sucht. In der Tat durchzieht seine Ausführungen eben jener Duktus des "weder-noch", den bereits die oben zitierte Passage Derridas über das X" auszeichnete. Da Heidegger aber darüberhinaus auch positive Bestimmungen anführt, an die sich die Hoffnungen knüpfen, weitere Hinweise auf das hier gesuchte X" zu erhalten, soll der folgende Abschnitt in aller Ausführlichkeit zitiert werden. "Das Regende im Zeigen der Sage ist das Eignen. Es erbringt das An- und Abwesen in sein jeweilig Eigenes, aus dem dieses sich an ihm selbst zeigt und nach seiner Art verweilt. Das erbringende Eignen, das die Sage als die Zeige in ihrem Zeigen regt, heiße das Ereignen. Es er-gibt das Freie der Lichtung, in die Anwesendes anwähren, aus der Abwesendes entgehen und im Entzug sein Währen behalten kann. Was das Ereignen durch die Sage ergibt, ist nie Wirkung einer Ursache, nicht die Folge eines Grundes. Das erbringende Eignen, das Ereignen, ist gewährender als jedes Wirken, Machen und Gründen. Das Ereignende ist das Ereignis selbst - und nichts außerdem. Das Ereignis, im Zeigen der Sage erblickt, läßt sich weder als ein Vorkommnis noch als ein Geschehen vorstellen, sondern nur im Zeigen der Sage als das Gewährende erfahren. Es gibt nichts anderes, worauf das Ereignis noch zurückführt, woraus es gar erklärt werden könnte. Das Ereignen ist kein Ergebnis (Resultat) aus anderem, aber die Er-gebnis, deren reichendes Geben erst dergleichen wie ein `Es gibt' gewährt, dessen auch noch `das Sein' bedarf, um als Anwesen in sein Eigenes zu gelangen. Das Ereignis versammelt den Aufriß der Sage und entfaltet ihn zum Gefüge des Vielfältigen Zeigens. Das Ereignis ist das Unscheinbarste des Unscheinbaren, das Einfachste des Einfachen, das Nächste des Nahen und das Fernste des Fernen, darin wir Sterbliche uns zeitlebens aufhalten."8 Ganz offensichtlich spricht aus diesen Zeilen jene Unbedingtheit, die darauf insistiert, das Ereignis als jeglicher Substantialität bare, rein dynamische und nur in actu erkennbare Prozessualität zu zeichnen, die sich bereits bei Derrida erkennen ließ. Diese Prozessualität ist jedoch gewährender als jedes Wirken, womit dieser reinen Dynamik eine zwar nicht-statische, dennoch sammelnd-versammelte Attitüde zuerkannt wird. Es ist eine Sphäre" gezeichnet, die nicht als Grund-für , am ehesten als Spendung verstanden werden darf, womit sowohl das dynamisch-eröffnende, als auch das bereithaltend-gewährende erfäßt wäre. Doch sogleich wendet sich jeder Versuch einer solchen Eingrenzung gegen sich selbst, da das Einzugrenzende nicht projektiv vorgestellt, sondern nur erfahren werden kann. Erfahren wird es an dem, was sich ereignet, denn nicht das Ereignis selbst wird erfahren. Erfahren wird das Ereignis an der Spendung, insofern ihre Er-gebnis allererst die eröffnend gewährende Ermöglichung für jegliches Es gibt darstellt. Da es sich hierbei jedoch nicht um ein kausales Gründungsverhältnis handelt, ist ebenso der Weg zurück, also der Umkehrschluß von der Spendung zum Ereignis verschlossen. So kann das Ereignis, da es nicht Wirkung einer Ursache noch Ursache einer Wirkung ist, weder von der einen noch von der anderen Seite her erklärt werden, allein die Erfahrbarkeit seines Gewährens, die sich selbst noch der Beschreibung entzieht, läßt sich von ihm aussagen. Was sich demzufolge vom Ereignis selbst positiv und klar sagen läßt, was nicht anderes bedeutet, als das Ereignis im prädikativen Diskurs zu thematisieren, ist daher eher dem Verstummen nahe: Es - das Ereignis - eignet."9
Da, wo die Dinge in ihr Eigenes gelangen, wo die Welt, die Sterblichen und die Göttlichen sich in ihr Wesen er-eignen, da verbleibt dem Wort eben nur, dieses Geringe selbst zu sagen: die Dinge dingen, die Welt weltet, der Leib leibt, usw. Es ist dies nicht der Diskurs des philosophischen Alltagsgeschäftes, hier tritt an die Stelle des Komplizierten das Einfachste des Einfachen, das jedoch in und aufgrund seiner Unscheinbarkeit dem deduktiv geschulten Denken sowohl das Nächste (weil im Syntagma sofort verständlich), als auch das Fernste (weil in dessen Kategorien - wenn nicht als tautologisch verhöhnt - nie faßbar) ist.10 So kommt das Ereignis zwar zur Sprache, es läßt sich sich aussagen/sagt sich aus, doch im gleichen Augenblick, in dem diese Worte fallen, gelangen sie als positive Aussage nicht zurück an das Ereignis selbst, sind sie doch nur die Spende des Er-gebnisses. Sagen wir dies, dann sprechen wir in unserer eigenen schon gesprochenen Sprache."11 D.h. der Satz selbst ist nur das Anzeichen der möglichen Erfahrung des Ereignisses, und ist deswegen gleichzeitig und ebenso die Ermöglichung, daß der Mensch das Wort und so sich selbst ergreift.
Sich so der Sprache entziehend, indem es selbst erst Sprache, Sein und Welt gewährt, stellt das Ereigneis seiner Struktur nach aber das Jenseits der Grenze, das dritte Geschlecht"12 dar, dem die Suche gilt. Die Frage, die es zu beantworten gälte, zielt dann jedoch darauf, ob sich das Heideggersche Ereignis, ohne ihm Gewalt anzutun, in einer Topologie der Negativität legitim verorten ließe. Denn interessanterweise taucht das Ereignis in Was ist Metaphysik, jener Vorlesung, von der Derrida sagt, man könne sie als eine Abhandlung über die Negativität lesen"13, nur einmal und in einem für den Kontext marginalen Zusammenhang auf.14 Das allerdings darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ereignis, auch ohne im Haupttext explizit erwähnt zu werden, als jene gewährende Spendung stets erfahrbar ist. Wenn es etwa lautet Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts."15, dann spricht sich hier deutlich das gewährte In-sein-Wesen-Gelangen aus. Und daß das Ereignis dem Bereich der Negativität zuzurechnen ist, wobei letztere immer im Sinne einer den Bereich von Absenz und Präsenz insgesamt übersteigenden Dimension verstanden werden muß, wird deutlich, wenn Heidegger gegen eine vorschnelle Gleichsetzung des Nichts mit dem Wesenlosen darauf insistiert, im Nichts die Weiträumigkeit dessen zu erfahren, was jedem Seienden die Gewähr gibt, zu sein. Das ist das Sein selbst."16 Damit aber ist als das, was die Gewähr gibt zu sein, das Sein selbst ausgemacht, und zwar dergestalt, daß es im Nichts erfahrbar wird. Sein und Nichts erscheinen somit als die Bereiche/der Bereich, aus denen/aus dem sich Seiendes erst ergeben kann. Wenn nun aber noch einmal an jene Ausführung erinnert wird, nach der das Ereignen kein Ergebnis aus anderem ist, vielmehr dessen Er-gebnis erst dergleichen wie ein `Es gibt' gewährt, dessen auch noch `das Sein' bedarf"17, dann ist mit dem Ereignis ein etwas" skizziert, das sich eindeutig jener Negativität zuordnen läßt, die als das Jenseits der Grenze zu gelten hat. Dies insofern, als in dem Maße, in dem das Nichts das Sein in der Angst offenbar werden läßt, das Ereignis als das Gewährende erst den Raum, die Möglichkeit für das Sein bereithält. Im Ereignis kündigt sich die Erfahrung dessen an, das die Dinge in ihr Eigenes kommen läßt, das das Sein gewährt, daß Seiendes ist: das Ereignis. Die Erfahrung eines solchen Seins aber ist eine Erfahrung des Seins als des Anderen zu allem Seienden"18, das jedoch erst in der hellen Nacht des Nichts der Angst entsteht."19 Somit erweist sich in der Zusammenschau das Ereignis hinsichtlich des Seins als das gewährende, während das Nichts als der Raum erscheint, in dem das Sein offenbar werden kann. Dem Ereignis wie dem Nichts kommen also in Bezug auf das Sein jeweils ermöglichende Funktionen zu, wobei diese Formulierung durchaus an einer etwas technizistischen Attitüde krankt.
Wenn hier von Ermöglichung die Rede ist, so soll dies jedoch nicht auf eine Art Gründungsverhältnis hindeuten.20 Heidegger selbst weist ausdrücklich auf die Koinzidenz von Sein und Nichts hin, wenn er Hegel (Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe.") ausdrücklich bestätigt. Damit ist ein Gründen, etwa im Sinne einer ontologischen Stufenfolge, eindeutig auszuschließen. Die Selbigkeit von Sein und Nichts ergibt sich für Heidegger in Abweichung der Hegelschen Begründung, weil das Sein im Wesen selbst endlich ist und sich nur in der Transzendenz des in das Nichts hinausgehaltenen Daseins offenbart."21 Wenn es weiter heißt, daß das Sein erst in der Angst in den Horizont seiner Frage gelangen kann, weil das Seiende im Ganzen entgleitet und so gerade das Nichts andrängt"22, so darf dies nicht dahingehend (miß)verstanden werden, als käme dem Nichts ein temporaler und/oder kausaler Vorrang zu, von dem aus erst sich das Sein ergäbe. Vielmehr muß die Betonung des Nichts gegenüber der Tradition des ex nihilo nihil fit gelesen werden im Sinne von ex nihilo omne ens qua ens fit."23 D.h. das Andrängen des Nichts, das als die vollständige Verneinung der Allheit des Seienden"24 erst gegeben sein muß, damit Sein überhaupt offenbar werden kann, muß als ein simultanes Andrängen/Offenbar-Werden von Nichts und Sein gesehen werden: indem das Nichts andrängt, wird Sein offenbar und indem dies schlechthin Andere zu allem Seienden"25, das Sein also offenbar wird, drängt das Nichts an. Somit ist die oben erwähnte ermöglichende Funktion" zwar durchaus legitim nachgezeichnet, stellt aber aufgrund der Koinzidenz von Sein und Nichts letztlich nur einen Aspekt innerhalb eines wechselseitigen Beziehungsgeflechtes dar. Es ließe sich sagen, daß Heideggers Hervorhebung des Nichts, die dessen Unterschätzung als das bloße Nicht des (je partikulären) Seienden aufzufangen sucht, einen anderen notwendigen Aspekt innerhalb der Bemühungen darstellt, welche gegen die Seinsvergessenheit anarbeiten. Denn die Vergessenheit des Seins ist immer auch die des Nichts, und umgekehrt entspringt einer mangelnden Würdigung des Nichts zwangsläufig die beklagte Vergessenheit des Seins.26 Allein diese Wechselseitigkeit von Sein und Nichts läßt sich in Bezug auf das Ereignis nicht feststellen, da das Ereignis als prozessuales "Element", das dem Sein/Nichts gründent vorangeht, sich dieser Polarität/Koinzidenz entzieht. Es läßt sich somit aber deutlich erkennen, inwiefern es gerechtfertigt ist, das Ereignis der Tropik der Negativität"27 zuzurechnen, innerhalb derer das gesuchte X" seinen Raum hat.
Ist damit nun die Suche an ihr Ziel gelangt, ist mit dem Ereignis das ignotum X" demskiert? Es scheint einiges dafür zu sprechen, und ein erneuter Vergleich jener oben angeführten negativen Distinktionen mit den nun erlangten Einsichten über das Ereignis läßt durchaus deutliche Übereinstimmungen erkennen. So fügt sich das, was hier dem Ereignis attestiert wurde lückenlos in jenen Diskurs des weder-noch, sei es hinsichtlich der Alternative sinnlich/intelligibel, positiv/negativ, anwesend/abwesend oder schließlich übergeordnet/untergeordnet.
Somit wäre mit dem Ereignis, unter einem strukturalen Aspekt betrachtet, durchaus jener eröffnende Raum gegeben, der selber nicht mehr unter den Kategorien von Raum und Zeit gedacht werden kann. Allerdings, und das ist von entscheidender Wichtigkeit, ist dies nicht die einzige Perspektive, aus der das Ereignis betrachtet werden kann. Ein weiterer Aspekt ergibt sich, wenn auf diejenige Dichotomie innerhalb der Derridaschen Bestimmung des X" gesehen wird, die in dem soeben erneut vollzogenen Vergleich unterschlagen wurde: aktiv/passiv.
Es wurde oben bereits vom Ereignis als einem prozessualen Element" gesprochen, das, obzwar jenseits von Ursache und Wirkung angesiedelt, dennoch aufgrund seiner Konzeption als das Gewährende eine deutlich dynamische Komponente in sich trägt. Eine solche Dynamik, auch wenn sie sich - und das sei hier ausdrücklich konzediert - nicht in der Dichotomie aktiv/passiv aufheben läßt, wirft aber dennoch die Frage auf, ob sie sich als rein diffuse Virulenz begreifen läßt, oder ob ihr irgendeine Form der Ausrichtung, letztlich eine Teleologie zuerkannt werden kann. Andersherum: Wenn mit dem Ereignis sich Eröffnung und Gewährnis erst erschließen, dann erhebt sich die Frage, woraufhin dieses Eröffnen und Gewähren geschieht, wem wird im Ereignis der eröffnende Raum bereitet?
Zur Erinnerung sei es noch einmal wiederholt: Das Ereignis verleiht den Sterblichen den Aufenthalt in ihrem Wesen. [...] Das Ereignis ist das Gesetz, insofern es die Sterblichen in das ereignen zu ihrem Wesen versammelt und darin behält."28 Dabei verstehen wir unter dem Gesetz die Versammlung dessen, was jegliches in seinem Eigenen anwesen, in sein Gehöriges gehören läßt".29 Das Ereignis erscheint also als dasjenige, welches das Seiende, welcher Form auch immer, in sein Wesen gelangen und dort verbleiben läßt, im Er-eignen generiert sich für Seiendes sein Anwesen. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß dasjenige, woraufhin das Ereignis als der eröffnende Raum fungiert, wieder eine Form der Präsenz ist, die, und das ist hier entscheident, gleichzeitig als die Ebene angesehen werden muß, auf der sich der Sinn von Sein erkennen läßt. Denn wenn die Fundamentalontologie, aus der alle anderen [Ontologien] erst entspringen können, in der existentialen Analytik des Daseins gesucht werden" muß30, eine solche Ontologie aber erst konzipiert ist, wenn sie den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat"31, dann geht zweifelsfrei aus dem in seinem Eigenen wesenden Dasein, aus der Versammeltheit des Seins - in der Form des Daseins - in sein Wesen, der Sinn von Sein hervor. Somit ist das Ereignis, und wie sollte es bei Heidegger anders sein, ein seinsthematisches Paradigma, wobei es, selbst raum-zeit-transzendent, dem Sein die Gewähr ist, sich anwesend-präsentisch zu ereignen. Im Ereignis, in dem Seiendes zu dem gelangt, was es eben in seinem Wesen ausmacht - und dieses Gelangen heißt letztlich, für das dem Sein nachdenkende Dasein dauerhaft den Sinn von Sein im präsenten Anwesen konservieren zu können - vollzieht sich also wieder jene Identifikation, von Sinn und Sein, der es ursprünglich zu entfliehen galt. Dasjenige, was als das Jenseits der Grenze sowohl der Sprache als auch dem Sein jene gewährend vorgelagert ist, bildet zwar für beide Bereiche den eröffnenden Raum, dies jedoch dergestalt, daß dem Denken der Sinn von Sein wieder als Präsenz erwächst, denn der Sinn generiert sich für das Sein allein, wenn dieses sich im Ereignis in sein Wesen versammelt hat. So steht das Ereignis in einer eigenartigen Spannung, insofern es sich zwar konzeptionell" dem Denken der Präsenz zu entziehen sucht, andererseits aber, seinem Telos folgend, eindeutig wieder dieser Präsenz verpflichtet ist. Derrida erkennt diesen nur teilweise geglückten Ausbruchsversuch darin, daß wenn Heidegger die Autorität des Präsenz über die Metaphysik radikal zerstört hat, so um uns zum Denken des Anwesens des Anwesenden zu führen. Doch das Denken dieser Präsenz metaphorisiert nur [...] die Sprache, die sie dekonstruiert."32 Mit dem Ereignis ist also eine Figur des Denken des Außen gegeben, jedoch nur insofern, als es sich hier um einen genitivus objectivus handelt. Eine Interpretation im Sinne eines genitivus subjectivus, d.h. als das Denken, das sich im Außen vollzieht, das das Außen vieleicht sogar selbst vollzieht und das somit das kategorial andere wäre, verbietet sich hier jedoch, da das Ereignis zwar jenseits der Grenze gedacht wird, jedoch aus dem Diesseits heraus. Dies darüberhinaus noch in der Form, daß es funktional" so angelegt ist, wieder in das Diesseits zurückzukehren. Denn bei aller Schwierigkeit, das Ereignis positivsprachlich zu fassen, muß eindeutig festgehalten werden, daß der Effekt", den es zeitigt, die Gründung von Sinn von Sein ist, und zwar in der Form der Anwesenheit. Im Ereignis selbst wird dieser Sinn gestiftet und insofern dies geschieht, also indem und nur dann und nur solange das Ereignis eignet, wird es zum eigentlichen Träger des Sinns von Sein. D.h. das Ereignis verschmilzt mit dem Sinn von Sein, es kann ohne diesen Sinn nicht gedacht werden, und es läßt sich nur dort erfahren, wo Sinn von Sein im Anwesen erfahren wird.
Diese Verkoppelung aber verhindert aufgrund ihrer funktionalen Einbindung in die Positivität und Präsenz, daß das Ereignis - obwohl oben struktural in der Tropologie der Negativität verortet - als mögliche Lösung auf der Suche nach dem verfolgten X" erscheint. Denn es handelt sich hierbei [bei dem gesuchten X"] eher darum, die Möglichkeit von Sinn zu bestimmen, ausgehend von einer `formalen' Operation, die in sich selbst keinen Sinn hat, was nicht heißen soll, sie sei der Unsinn oder die beängstigende Absurdität".33 Zwar ist das Ereignis auch die Möglichkeit von Sinn, aber zum einen ist es als Möglichkeit von Sinn diese Möglichkeit nur insofern, als dieser Sinn immer und ausschließlich Sinn von Sein ist. Zum anderen, und das ist entscheidender, ist das Ereignis zwar auch die Möglichkeit von Sinn, aber es ist diese Möglichkeit eben nur auch" im Sinne eines Sowohl-als-auch", da es gleichzeitig und immer schon die Realität dieses Sinnes ist. D.h. Möglichkeit und Wirklichkeit des Sinns koinzidieren im Ereignis, womit aber die eingeforderte eigene Sinnfreiheit nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.
1J. Derrida: Wie nicht Sprechen. S.11. Hervorhebung im Original.
2vgl. Anm. 49
3M. Heidegger: Sein und Zeit. S.165
4vgl. ebd.
5ebd. Hervorhebung von J.C.
6M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S.259. Hervorhebung im Original.
7Ohne eigens auf das Ereignis als Bindeglied zu rekurrieren, gelangt Martin Hielscher dazu, eine zweite ontologische Differenz zu konstatieren, wenn er auf die Verbindung von Sein und Sprache eingeht. "`Sein' zu denken als das ganz Andere zum Seienden heißt: Sprache zu erfahren als das ganz Andere zum Sprechen i.S. des benennenden Verfügens mittels Zeichen."(M. Hielscher: Zerbrechen. Zu Heideggers Sprachgestus. PhJb 92, 1985, S.380-386, hier S.382) Diesen engen Nexus zu erkennen besitzt durchaus eine Legitimation, erinnert man etwa Heideggers Äußerung, "Sprache ist lichtend-verbergende Ankunft des Seins selbst."(Platons Lehre von der Wahrheit. Mit einem Brief über den Humanismus. Bern 21954, S.70)
8M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S.258f. Hervorhebung bis auf die des ersten Satzes von J.C.
9a.a.O., S.259
10Solcherart das Eigene in sein Eigenes gelangen zu lassen, heißt aber auch, den ontologischen Unterschied erstmals als Unterschied selbst zu denken, heißt, das Selbe zu denken und zwar in dreifacher Weise. Erstens ist das Selbe der `Unter-schied' selbst und nicht das Unterschiedene, das erst durch ihn das Unterschiedene ist, wie z.B. die Schwelle, die das Draußen und Drinnen des Hauses unter-scheidet, indem sie selbst das Selbe bleibt. Zweitens heißt der Unter-schied als Unter-schied selbst zu denken dies, `das Selbe in seiner Selbigkeit' zu denken. Drittens ist das Denken des Selben in seiner Selbigkeit nicht das Auflösen bzw. Beseitigen des Unterschiedes, sondern das denkende Bewahren des Unterschiedes als solchen." (K. Tsujimura: Zu `Gedachtes' von Martin Heidegger. PhJb 88, 1981, S.316-332, hier S.326. Hervorhebung im Original.)
11M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S.259
12J. Derrida: Wie nicht sprechen. S.64
13a.a.O., S.95
14Es handelt sich um die kurze Passage im Nachwort, die um das Opfer kreist. "Das Opfer ist heimisch im Wesen des Ereignisses, als welches das Sein den Menschen für die Wahrheit des Seins in Anspruch nimmt."(S.50)
15M. Heidegger: Was ist Metaphysik? S.35
16a.a.O., S.46. Hervorhebung von J.C.
17M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S.258
18M. Heidegger: Was ist Metaphysik? S.46
19a.a.O., S.34 Wenn Heidegger damit für sich das Privileg reklamiert, als erster auf die Seinsvergessenheit aufmerksam gemacht zu haben, so sollen an dieser Stelle nicht jene Stimmen ungehört bleiben, die der Tradition das Bewußtsein der ontologischen Differenz nicht in Abrede stellen. So weist Horst Seidl darauf hin, daß das Sein des Seienden, welches sich als Dasein und Sosein zeige, zum einen (vom Dasein her) als verursachter Seinsakt erscheine, während zum anderen (vom Sosein her) die Ursachen des Soseins (Stoff-, Form-, Bewegungs-, Zweckursache) nicht Ursachen für den Seinsakt selbst seien, so daß Aristoteles die Frage nach einer losgelösten, transzendentalen Seiendheit stelle. Im Buch XII 6 der Metaphysik finde er sie im Prinzip, dessen Wesenheit (seine) Aktualität ist."(1071 b 19-20), was bei Thomas als actus purus bezeichnet sei. In Analogie zur immateriellen Vernunft bestimme Aristoteles dieses transzendentale Seinsprinzip als Prinzip, a) dessen Wesenheit seine Seinsaktualität selbst ist, b) dessen Wesen seine Vernunft-Aktualität ist (=Gott). Daraus folge zum einen, das dieses Prinzip keine Wesenheit habe, sondern diese in Koinzidenz von Daß- und Was-sein sei, sowie es zum anderen als Erkenntnisprinzip Subjekt und Objekt umfasse, somit kategorial vom Menschen verschieden sei. Damit aber werde, indem ein dem Dasein verschiedenes, vorgängiges, transzendentales Seinsprinzip erkannt sei, eine deutliche Unterscheidung von (Da)Seiendem und Sein gemacht, die Heidegger der bisherigen Tradition gerade abspreche. (H. Seidl: Zur Seinsfrage bei Aristoteles und Heidegger. ZphF 30, 1976, S.203-226) In die gleiche Richtung gehen etwa R. Hosokawa: `Sein und Zeit' als `Wiederholung' der Aristotelischen Seinsfrage. PhJb 94. 1987, S.362-371; K. Held: Heraklit, Parmenides und der Anfang der Philosophie und Wissenschaft.???, 1980; F. Volpi: Heideggers Verhältnis zu Brentanos Aristoteles-Interpretation. Die Frage nach dem Sein des Seienden. ZphF 32, 1978, S.254 - 265. Letzterer weist auf die Schlüsselstellung Brentanos hin, die dieser als der getreuste und zugleich entfernteste Ausleger des Aristoteles" (a.a.O., S.261) hinsichtlich des Heideggerschen Frageansatzes einnimmt.
20Daß hiermit kein kausales Gründen intendiert ist, wird deutlich, wenn an dieser Stelle die erhellenden Ausführungen von Akihiro Takeichi hinzugezogen werden. Das Nichts ist, solange es sich zeigt, ständig und zwar seinem Wesen nach `abweisend'. Diese Tätigkeit der Nichtung, das Abweisen, ist deshalb ein Zum-Vorschein-Kommen einer Tätigkeit, die auf nichts Seiendes bezogen werden kann, d.h. ohne das Seiendes geschieht. [...] Durch ihre Tätigkeit, durch ihr abweisendes Verweisen, offenbart die Nichtung das Seiende als das schlechthin Andere gegenüber dem Nichts, als `nicht Nichts', d.h. als das Seiende eben als solches. Daher können wir in der Nichtung das Sein des Seienden sehen;"(A.Takeichi: Ein Weg zu 'dem Selben' in Martin Heideggers Denken. Eine phänomenologische Analyse des Nichts. PhJb 85, 1978, S.42-55, hier S.50)
21M. Heidegger: Was ist Metaphysik? S.40
22a.a.O., S.32
23a.a.O., S.40
24a.a.O., S.29
25a.a.O., S.46
26Wenn Seinsvergessenheit allererst das Vergessen der ontologischen Differenz bedeutet, so gelangt man auch auf einem anderen Weg dazu, Heideggers Bemühungen um das Nichts als Anarbeiten gegen die Seinsvergessenheit zu verstehen. Wir haben aber bemerkt, dass auch die Transzendez als Nichts bestimmt wird. Abweisen und Verweisen sind Modifikationen von Verstehen und Befindlichkeit. Damit gewinnen wir einen zweiten, vollen Begriff vom Nichts als der Einheit von Transzendenz und Horizont. Dieses Nichts ist aber das Gegeneinander von Seiendem und Nichts als Horizont, d.h. die ontologische Differenz selbst."(A. Rosales: Transzendenz und Differenz. Ein Beitrag zum Problem der ontologischen Differenz beim frühen Heidegger. Den Haag 1970, S.301)
27J. Derrida: Wie nicht sprechen. S.64
28M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. S.259. Hervorhebung im Original.
29ebd.
30M. Heidegger: Sein und Zeit. S.13. Hervorhebung im Original.
31a.a.O., S. 11. Wenn Heidegger darauf hinweist, daß die Fundamentalontologie, indem sie allererst auf die ontologische Differenz reflektiert, trotz des gleichlautenden Titels nicht mehr dem Bereich der klassischer Ontologie zuzuordnen sei, dann markiert dies umgekehrt die gesuchte und nun überschrittene Grenze, welche die Positivität, d.h. die Verhaftetheit an die Seiendheit, hinter sich läßt. Somit hat das Denken, an die Wahrheit des Seins als der Rückgang in den Grund der Metaphysik den Bereich aller Ontologie schon mit dem ersten Schritt verlassen." (Was ist Metaphysik? S. 21)
32J. Derrida: Randgänge der Philosophie. S.137. Hervorhebung im Original.
33a.a.O., S.138f
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