5.3 Die Monokontexturalität des CI als Grenze seiner Selbstreferentialität
Diese Widersprüchlichkeit zu erkennen, heißt nun aber für den Kalkül, daß hiermit offenbar nicht die gesuchte Formalisierung für den Prozeß der Differenzierung erreicht wird, die ja, wie Becker zurecht anführt, eine selbstreferentielle Operation ist. Der calculus of indication sowie Varelas Weiterentwicklung zeigen vielmehr, daß sie gemeinsam auf den beiden Säulen von Hetero- und Selbstreferentialität ruhen. Heteroreferentialität jedoch darf nicht ins Spiel kommen, wenn es darum geht, eine nicht positiv-sprachliche Abbildungsform zu finden, für jene nicht von einem Ursprung her gedachte dialektische Struktur, wie sie sich in der différance andeutet. Hier war ja gerade das simultane, und das heißt das nicht mehr auf eine Linearität zurückführbare, wechselseitige Gründen von Unterschied und Unterschiedenem der zentrale Aspekt, der sich als die Bedingung der Semiosis in seiner prozessualen Darstellbarkeit der (Positiv)Sprache entzog. D.h. erfährt der Kalkül nicht nur eine entscheidende Schwäche in der widersprüchlichen Anlage von Konzeption und Formalisierung der indication, so zeigt sich das grundlegende Problem für den hier relevanten Zusammenhang darin, daß die von Spencer Brown vorgeschlagene Formalisierung der Differenzierung diese nicht aus einem klar strukturierten Sukzessionsverhältnis befreien kann, welches in der zeitlich vermittelten Abfolge von Unterscheiden und Unterschiedenem angelegt ist.1 Aus dieser Linearität leistet dann auch die gleichsam postume Rückkehr in die Zirkularität mittels des re-entry kein Entkommen, insofern die hiermit eingeleitete zirkuläre Struktur sich als Einstieg in einen infiniten Regress erweist.2 Interessant und aufschlußreich an dieser Stelle nun ist es, einen Blick darauf zu werfen, aus welchen Gründen der von Spencer Brown und in seiner Nachfolge von Varela konzipierte Kalkül nicht in der Lage ist, jene Aspektdoppelung abzubilden, wie sie notwendig ist, um das Phänomen der différance über jene von Derrida angestrebten Ein- und Um-Schreibungen hinaus einer Darstellung zugänglich zu machen, die ja im Rahmen der Positivsprache zwangsläufig nie zu ihrem angestrebten Ziel selbst vorzudringen vermögen.
Einen ersten Hinweis liefert die Axiomatik des calculus of indication. Spencer Brown benötigt für seinen Kalkül zwei Axiome, die in ihrer Schlichtheit die Einfachheit seines Systems widerspiegeln bzw. begründen. Axiom 1 oder the law of calling ist relativ unproblematisch und besagt, daß der Wert einer wiederholt ausgeführten Unterscheidung immer nur wieder der einer Unterscheidung sein kann. D.h. durch das sukzessive Ausführen von Unterscheidungen wird als Vollzug qualitativ gleichwertiger Akte kein(e) akkumulative(r) Qualtitätswechsel/-steigerung erzielt, das Selbe in Wiederholung ist dem Selben gleichwertig. The value of a call made again is the value of the call."3 In formalisierter Darstellung erscheint the law of calling dann als the form of condensation, da sich die wiederholt ausgeführten Unterscheidungen nicht zu einer summarischen Größe aufaddieren, sondern sich gemeinsam im Wert ihrer selbst verdichten:| | = |.4
Problematischer wird es, wenn der Blick auf Axiom 2, bzw. the law of crossing fällt. Dabei handelt es sich zwar ebenfalls um die wiederholt ausgeführte Unterscheidung, jedoch in einer anderen, nicht von einander getrennten Anordnung, sondern als die auf sich selbst angewandte Unterscheidung. Wie bereits ausgeführt wurde, teilt eine Unterscheidung den Raum in ein diesseits und jenseits der gezogenen Grenze, womit das Erreichen eines Punktes im Außen vom Innen her nicht ohne einen Grenzübertritt vollzogen werden kann. Soll nun der Weg wieder zum Ursprungspunkt zurückgehen, so muß erneut die Grenze überschritten werden, und zwar auf dem selben Weg in umgekehrter Richtung. Der Wert einer solchen doppelten Überschreitung nun entspricht dem einer nichtvollzogenen Überschreitung, ähnlich wie sich Vektor und Gegenvektor gegenseitig aufheben. Es gilt also for any boundary, to recross is not to cross."5 Demgemäß erscheint in der Spencer Brownschen Notation, d.h. in der form of cancellation auf der den Wert bezeichnenden Seite der Gleichung das (bei ihm nicht eigens notierte) Leerzeichen: || = .6 An dieser Stelle nun ist jedoch auch eine andere Lesart möglich, die einen deutlichen Hinweis auf die strukturellen Voraussetzungen liefert, denen Spencer Brown und infolge dessen auch Varela verpflichtet sind. Wenn die Unterscheidung den auf ihrer Innenseite befindlichen Wert angeben kann (p|)7, so erscheint als dieser Wert in dem hier vorliegenden Fall erneut eine Unterscheidung. ( ||) Anders ausgedrückt unterscheidet hier die Unterscheidung nicht mehr allein den Raum in ein Innen und Außen, sondern markiert den als Innen unterschieden Raum erneut als eine Unterscheidung. D.h. die konkave Innenseite der ersten Unterscheidung beinhaltet wiederum eine Unterscheidung, die demgemäß eine weitere Teilung des Raumes in Innen und Außen vollzieht. Damit aber taucht eine Schwierigkeit bezüglich des Raumes auf, der sich zwischen den beiden mark of distinction erstreckt, insofern er zum einen für die äußere Unterscheidung als Innenraum, zum anderen für die innere als das Außen erscheint. Eine solche Überdetermination aber kann nicht widerspruchsfrei gedacht werden, denn es heißt eindeutig Call the concave side of a token its inside",8 wobei zuvor ausdrücklich festgestellt wurde In general, what is not allowed is forbidden."9 Somit gilt strikt und eindeutig a -a, tertium non datur, was hinsichtlich des Raumes zwischen den Markierungen soviel bedeutet, als daß er entweder Innen- oder Außenraum sein muß. Das aber führt zu Konflikten mit den Aussagen über diesen Raum, wie sie sich von den jeweiligen Markierungen herleiten, da er für die eine Unterscheidung gemäß der obigen Definition Innenseite, für die andere hingegen Außenseite ist.10 Damit jedoch ist dem Satz vom verbotenen Widerspruch innerhalb der Formalisierung des zweiten Axioms nicht mehr Folge zu leisten, heißt es doch für den Raum, der sich zwischen den beiden Unterscheidungen aufspannt, daß er sowohl Innenraum, als auch und gleichzeitig Außenraum ist.11
Die Schwierigkeiten, die für Spencer Brown an dieser Stelle auftreten, haben ihre Ursache in einer dem gesamten Kalkül zu Grunde liegenden Struktur, die bereits im Zusammenhang des re-entry ihre höchst unliebsamen Konsequenzen zeitigte. Sie wurde dort als jenes Denken markiert, das, trotz aller Bemühungen, eine echte Selbstreferentialität abzubilden, immer noch einem linearen und das heißt Ursprungsdenken verhaftet ist. Es zeigt sich nun jedoch, daß diese von einem Ursprung her konzipierte Linearität selbst nur Ausdruck eines tieferliegenden Schemas ist, das sowohl den soeben festgehaltenen Widerspruch überhaupt als einen solchen erkennen läßt, wie es darüber hinaus für ihn allererst verantwortlich zeichnet. Gemeint ist jene klassisch-logische Trinität, die als die fundamentale Basis des Denkens dessen Konsistenz und Stringenz zu sichern sucht, und die in den Sätzen der Identität (a = a), des verbotenen Widerspruchs ÿ(a ÿa), sowie dem ausgeschlossenen Dritten (a ÿ a) ihren Niederschlag findet. Dieses logische Dreigestirn führt bezüglich der form of crossing zu den erwähnten Schwierigkeiten, insofern der zwischen den marks befindliche Raum, so er mit sich identisch ist (a = a), nicht zugleich innen und außen sein kann (ÿ(a ÿa), er also entweder Innenraum oder Außenraum sein muß, da ein Drittes nicht gegeben ist (a ÿa). Trotz allem zeigt sich aber, daß der Raum und eben immer derselbe Raum zugleich innen als auch außen ist, womit das Selbe plötzlich als das Andere erscheint. Das Selbe ist das Andere; das Innen ist das Außen; wie läßt sich solches vor einer von den drei obigen Sätzen strukturierten Logik denken, oder umgekehrt, wie läßt sich die logische Trinität vor den hier angeführten Evidenzen aufrecht erhalten? Der klassischen Logik zufolge, und das heißt der durch die drei Sätze konstituierten Logik, lassen sich allen Aussagen die binären Wahrheitswerte von wahr und falsch zuordnen, wobei durch die drei angeführten Sätze jede Ambiguität oder Überdetermination ausgeschlossen ist. Gilt dieser Anspruch prinzipiell für alle Sätze über die Welt, so bedeutet dies umgekehrt den absoluten Universalitätsanspruch einer solchen Logik. Was einmal und an einem Ort für wahr erkannt wurde, kann an keiner anderen Stelle als falsch gelten. Die Syllogismen des Aristoteles lassen damals wie heute Sokrates aus seiner zuerkannten Menschlichkeit als sterblich hervorgehen, und eine Veränderung ist in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Gilt solcherart die zweiwertig-klassische Logik uneingeschränkt universal, so läßt sich von einem logisch homogenen Raum sprechen, da keine Enklaven ausgemacht werden können, innerhalb derer diese Logik keine Geltung beanspruchte. Dieses Prinzip, daß die eine Logik von einem dann notwendig absoluten Punkt aus die Welt unter ihr Raster faßt, nennt Günther demgemäß Monokontexturalität. D.h. der gesamte Bereich des Seins bildet einen bruchlos-homogenen Raum", eine Kontextur, die ihre Einheit aus der unumschränkten Gültigkeit einer auf alle Daten des Seins gleichermaßen anwendbaren Logik bezieht. Doch führt dieser Anspruch zu Problemen, denn wie gesehen erscheint der zwischen den Marken situierte Raum eben nicht in jener geforderten Eindeutigkeit. Aus monokontexturaler Sicht bleibt maximal ein einmaliger Entscheid, ihn unter Absehen aller Schwierigkeiten, entweder als Innen oder Außen zu definieren, um auf restriktive Weise Identität und Widerspruchsfreiheit (gewaltsam) zu garantieren.
Ein redlicher Blick jedoch müßte darauf sehen, daß in Folge der Monokontexturalität sich eine eindeutige immanente Widersprüchlichkeit nicht verhindern läßt, denn es bleibt der Raum für die äußere Unterscheidung das Innen und umgekehrt. Damit ist aber der entscheidende Hinweis gegeben, auf welchem Weg eine Klärung des Problems erzielt werden kann, wurde soeben nicht mehr von dem Raum als absolut gegebenem gesprochen, sondern tauchte er in seinem relationalen Verhältnis als das Für der jeweiligen mark of distinction auf. Für diese ist er das Außen, für jene das Innen, d.h. die jeweilige Perspektive von der aus der Raum betrachtet wird entscheidet darüber, in welcher Funktion er auftritt. Damit aber ist der die Monokontexturalität kennzeichnende Absolutheitsanspruch fallen gelassen, insofern nun innerhalb der durch die verschiedenen Perspektiven konstituierten Bereiche gleichermaßen wahre Sätze nebeneinander Bestand haben, die sich innerhalb einer Kontextur ausgesagt, widersprächen. Ein solches, in diesem Fall durch zwei Kontexturen12 gebildetes, polykontexturales System ermöglicht also, unter unbedingter Aufrechterhaltung der intrakontexturellen logischen Trinität, ein vollständiges und widerspruchsfreies Erfassen des beschriebenen Phänomens, insofern die eine Logik sich nun an verschiedenen Stellen verortet sieht. Das solcherart polylogische System bildet sich also als ein System verteilter und vermittelter Kontexturen, innerhalb derer jeweils die eine Logik jene unum schränkte Gültigkeit besitzt, die sie zuvor über das gesamte Universum beanspruchte.
Verteilung und Vermittlung logischer Systeme, für die die Universalität ihres Logozentrismus nur noch eine interne Legitimation besitzt, heißt dann aber auch das Abgehen von einem Hierarchiedenken, wie es der absolute" Logozentrismus impliziert. Die simultane Gleich-Gültigkeit der verteilten und vermittelten Systeme läßt keine Unterordnung mehr zu, die im Idealfall von dem einen Punkt absoluter universaler logischer Mächtigkeit ausginge (Gott), statt dessen gilt, such an interchange, i.e. the distribution and mediation of domains is designated as `heterarchy' (hetros = the other and archain = to rule)"13 Somit ist in dem hier verfolgten Kontext für die innere Unterscheidung der Raum auf ihrer konvexen Seite immer und für alle Zeiten die Außenseite und nichts anderes, während mit der gleichen "Absolutheit" eben derselbe Raum innerhalb der anderen Kontextur als das Innen erscheint. Das Selbe ist das Andere, jedoch nicht in relativistischer Beliebigkeit, sondern eindeutig und klar angebbar in Beziehung auf den jeweiligen kontexturalen Einbindungsgrund.14 Dieses Scheitern des Spencer-Brown-Kalküls als ein Kalkül der Selbstreferentialität, welches sich in der Widersprüchlichkeit des zweiten Axioms ankündigt, zeigt sich noch in anderer Hinsicht deutlich, wenn die Axiomatik des calculus of indication unter einem für Günther grundlegenden methodologischen Paradigma betrachtet wird, der Reflexionslogik.
1Kaehr weist deutlich auf die nicht zu bewältigende Problematik des Unendlichen bzw. der Zeit innerhalb des calculus of indication sowie dessen erweiterter Form hin (vgl. Neue Tendenzen. S.43 - 47), und kann diesbezüglich sogar auf das Eingeständnis Varelas hinsichtlich des markierten Defizits zurückgreifen. (vgl. F.J. Varela/ J.A. Goguen: The Arithmetic of Closure. in: J. of Cybernetics, Vol.8, 1978, S.291-324, vgl. hier S.299)
2Zu den formallogischen Schwierigkeiten resp. Widersprüchen des re-entry vgl. F.J. Varela: A Calculus for Selfrefence. S.6; R. Kaehr: Neue Tendenzen. S.26-30; sowie der dort angeführte Kauffmann: ????????????. in: J. Gen. Systems, Vol.4, 1978, S.???-???, hier S.180 SIEHE EVA-TEXT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
3G. Spencer Brown: a.a.O., S.1
4vgl. a.a.O.,S.5. Als Analogon des hierin angelegten Prinzipes läßt sich etwa hinzuziehen, daß durch das unbegrenzte Anhäufen von Eiswürfeln die schon bei einem einzigen Würfel erreichte Temperatur von 0C nicht weiter vermindert wird.
5a.a.O., S.2
6vgl.a.a.O., S.5. Von den Schwierigkeiten einer Notation unter Auslassen des Leerzeichen sei hier nur ein Problem erwähnt. Wenn eine Gleichung sich immer in beide Richtungen lesen können lassen muß, dann gilt aber für den hier vorliegenden Fall ex nihilo quodlibet.
7Once a distinction is drawn, the spaces, states, or contents on each side of the boundary, being distinct, can be indicated." a.a.O., S.1.
8a.a.O., S.5
9a.a.O., S.3. Hervorhebung im Original.
10Es mag an dieser Stelle der Einwand erhoben werden, daß das hier vorgeführte Problem ein Scheinproblem sei, da sich die Schwierigkeit bzgl. des Zwischenraumes" allein aufgrund einer ungerechtfertigten Interpretation des law of crossing ergebe. Denn wenn es dort heiße ... to cross a boundary and then [...] to cross it again ..." (a.a.O., S.2. Hervorhebung von J.C.), dann gehe daraus eindeutig hervor, daß es sich um eine Grenze handele, die allein zweimal überschritten werde, folglich also überhaupt kein Raum zwischen zwei Markierungen auftreten könne. Zu dieser Berufung auf die konzeptionellen Ausführungen innerhalb des Gesetztes der Überschreitung muß jedoch gesagt werden, daß diese nicht isoliert stehen und demgemäß nicht als isolierte Sätze gelesen werden dürfen. Vielmehr zeigt sich, daß der Übergang von der Konzeption zur Formalisierung wieder jene Diskrepanz mit sich bringt, die bereits oben festgestellt wurde. So heißt es in Kapitel 2, das die Notation der beiden Axiome bestimmt, Call the parts of the space shaped by the severance or cleft the sides of the distinction or, alternatively, the spaces, states, or contents distinguished by the distinction."(a.a.O., S3. Hervorhebung von J.C.) Gilt dies für jede Unterscheidung (Call the space cloven by any distinction, together with the entire content of the space, the form of distinction. ebd.), und werden innerhalb der form of condensation getrennt notierte marks of distinction als jeweils eigenständige Unterscheidungen identifiziert (Sonst wäre der Ausdruck | | = | keiner Erwähnung wert, da er gleichbedeutend mit | = | wäre.), so muß dies auch für die form of cancellation gelten. D.h. das zweimalige Auftreten des mark of distinction muß als formaler Ausdruck für das zweimalige Ziehen einer Unterscheidung, also für zwei distinkte Unterscheidungen aufgefaßt werden. Dabei ist es dann gleichgültig, ob diese zwei Unterscheidungen als der im law of crossing angesprochene doppelte Grenzübertritt einer Grenze interpretiert werden, denn die form of distinction legt eindeutig fest, daß jede Unterscheidung ihren eigenen Raum (innen und außen) mit klar angebbarem Inhalt bildet. D.h. der im law of crossing erhobene Anspruch, es handele sich um eine Grenze, die zweimal überschritten werde, wird hinsichtlich der Formalisierung innerhalb der form of cancellation irrelevant, insofern die an dieser Stelle auf sich selbst angewandte Unterscheidung notwendig mit zwei marks of distinction, und also mit zwei von diesen konstituierten Innen- bzw. Außenräumen arbeiten muß. Allein auf diese in der Formalisierung angelegte Ambiguität aber bezieht sich die hier erhobene Kritik, die also durch den Verweis auf eine Grenze gänzlich unberührt bleibt.
11Obwohl von Spencer Brown sicherlich nicht in dieser Weise intendiert, trägt das Axiom also völlig zurecht seinen Namen, da es sich aufgrund der vorangehenden Voraussetzungen selbst durchstreicht, widerspricht, ausstreicht (to cross), bzw. aufhebt, widerruft, ungültig macht (to cancel).
12Die Rede, daß sich zwei Kontexturen zu einem komplexeren System zusammenschließen, geht eigentlich fehl, da für ihren Zusammenschluß, oder besser ihre Vermittlung, immer eine dritte Kontextur notwendig vorausgesetzt wird. Im vorliegenden Fall ist dies etwa der gerade geschriebene Text, was aber nicht bedeutet, daß die Vermittlungskontextur einem Super-Standpunkt gleichkäme. Wichtig allein ist, daß die Minimalbedingung für einen verbundkontexturalen Zusammenschluß in drei Elementarkontexturen zu sehen ist, auf deren intrikates Vermittlungsverhältnis explizit im zweiten Teil eingegangen wird.
13R. Kaehr, E. v. Goldammer: Cognitive Modelling for `Advanced Robotics'. Machine Learning - Heterarchy - Polycontexturality. in: Preprints, Mutual Uses of Support, Society and Culture. Amsterdam 1991, S193-207, hier S.198 (Hervorhebung im Original.) Der Begriff der Heterarchie geht namentlich auf W.S. McCulloch zurück, der im Anschluß an die mit W. Pitts verfaßte Studie über die Logifizierung neuronaler Prozesse (A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity. in: Bull.Math.Phys. 5, 1943, S.115-118) auf die Notwendigkeit hinweist, diese als heterarchisch strukturierte zu erfassen. W.S. McCulloch: A Heterachy of Values Determined by the Topology of Nervous Nets. in: Bull.Math.Biopys. 7, 1945, S.89-93. Beide Aufsätze auch in: ders.: Embodiments of Mind. The MIT Press, Cambridge, MA, 1988. Um zu verdeutlichen, wie sich das komplexe Zusammenspiel von Heterarchie und Hierarchie im Rahmen einer polykontexturalen Struktur ausbildet, läßt sich wie folgt übersetzen. In the terminology of poly-contexturality, heterachy is constituted inter-contextural, whereas intra-contexturally all descriptions (of systems or processes) are hierarchically structured. Intra-contexturally, i.e. within the locig of the contexture, the transitivity law holds rigorously, as do all classic logical rules." R. Kaehr, E.v. Goldammer: Problems of Autonomy and Discontexturality in the Theory of Living Systems. in : D.P.F. Möller, O. Richter (Hgg): Analyse dynamischer Systemen in Medizin, Biologie und Ökologie. Heidelberg et al. 1991, S. 3-12, hier S.11
14Die hier in Anlehnung an eine Perspektivenverschiebung angeführte Diskontexturalität, i.e. der strukturelle Abbruch, der zwischen zwei Kontexturen existiert" (G. Günther: Beiträge III, S.188f), darf nicht dazu verführen, Polykontexturalität konzeptionell in die Nähe eines Perspektivismus oder Relativismus zu rücken, da beide immer noch einer monokontexturalen Struktur verpflichtet sind. Zwar lassen sich im ersteren Fall unterschiedliche Standpunkte ausmachen, die sich hinsichtlich des Wissens um die Totalität der Welt als defizitär verstehen, sowie sich dem Relativismus die Revisionsbedürftigkeit seiner Erkenntnisse aus dem grundsätzlichen Wandel der zu erkennenden Welt erschließt, doch bleiben beide Ansätze bei aller Offenheit grundsätzlich in einem homogenen Raum des Erkennens, der sich allein aufgrund subjektiver Begrenztheit, bzw. kontinuierlicher Veränderung des Objektes dem vollständigen Zugriff entzieht. Die solcherart vollzogenen Absage an ein vollständig zu erlangendes Wissen, setzt also trotz der je verschieden Perspektivenwechseln - bei dem einen synchron, beim anderen diachron - immer noch das eine Universum als den eigentlichen Erkenntnisgegenstand voraus, wenn auch nun im Bewußtsein, ihn niemals vollständig erreichen zu können. Damit jedoch gelangen beide Positionen nicht in die Tiefe der Polykontexturalität, die mittels diskontexturaler Abbrüche dieses eine Universum selbst aufgibt, um es in die Vielheit der kategorial von einander getrennten Elementarkontexturen aufzusplittern. D.h. keine wie auch immer geartete relativistische Position, für die stellvertretend die oben genannten Spielarten aufgeführt wurden, gelangt je an die Grenze echter Diskontexturalität, da sie sich immer nur als Proklamationen eines bedauerlicherweise nicht erreichbaren, dennoch grundsätzlich nicht in Frage gestellten Ideals gebärden. Und selbst wenn eine solche Position sich dazu bereit erklärt, die grundsätzliche Andersheit und Nichtzugänglichkeit der (Erkenntnis)Welt für jeden Einzelfall zu konzedieren, so ist sie auf dem Boden der ihr allein zugänglichen klassischen zweiwertigen Logik zur Undenkbarkeit ihrer selbst verurteilt. Aus diesem Grund kommt auch eine Interpretation des Kontexturbegriffs als System/Subsystem dem wesentlichen Aspekt von Polykontexturaltät nicht nahe, da Subsysteme sich zwar ähnlich den Elementarkontexturen zu größeren Verbänden zusammenschließen können, sich jedoch keine logische Autarkie" innerhalb eines Subsystems gegenüber einem anderen feststellen läßt. Das Systemparadigma erlaubt für sich genommen noch keine simultane Gleich-Gültigkeit verschiedener Standpunkte, sondern ermöglicht allein den je neu zu vollziehenden Standortwechsel, der dann wieder als absolut erscheint. Polykontextural vermitteltete Systeme aber stehen in echter Heterarchie, d.h. als gleichzeitig für sich absolute, wobei diese Absolutheit sich durch die simultane Absolutheit der anderen Kontexturen selbst wieder unterminiert, also die dem Absolutheitsbegriff implizite Hierarchie interkontextural wieder auflöst.
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