TOC PREV NEXT INDEX


5.2 Der mark of distinction als Form der différance


Sind damit die Apriori-Probleme im Verhältnis von Agent, Raum und Unterscheidung in einem simultan-wechselseitigen Gründungsverhältnis aufgehoben, so gilt es nun auf die eigentliche Unterscheidung einzugehen, d.h. den Blick auf die in der Axiomatik bereitgestellte Bestimmung der Unterscheidung zu lenken. Dabei erscheint eine Unterscheidung, deren Notation sich im mark of distinction (.|) ausdrückt, als eine Aufteilung, die den vormals homogenen Raum in zwei nun durch diese Grenzlinie getrennte Räume scheidet. Die Unterscheidung, die sich gemäß des mark vollzieht, definiert sich demgemäß als das Setzten einer Grenze im Raum with seperate sides so that a point on one side cannot reach the other side without crossing the boundary."1 Dabei bildet die konvexe Seite des mark dessen Außenseite, während die konkave Seite als Innenseite erscheint. Dieser Innenseite nun gilt es, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, insofern sich hier die bereits im Zusammenhang der différance angesprochene Aspektdoppelung der Differenzierung erkennen läßt. Jene Doppelung, die den Akt der Unterscheidung zum einen in seiner prozessualen Dimension erscheinen läßt, womit das Ziehen der Unterscheidung mit dem Setzen des mark koinzidiert, und die zum anderen das resultativ Unterschiedene generiert, was bei Spencer Brown durch den indizierten Wert der Unterscheidung auf der Innenseite des mark angezeigt wird (p|). D.h. Unterscheidung erschöpft sich nicht darin, als Akt der Grenzziehung reine Teilung des Raumes zu sein (distinction), sondern ist immer und gleichzeitig auch die Bezeichnung (indication) der nunmehr generierten Seiten des mark. Diese Bezeichnung liefert aber mehr als das bloße Erkennen von Innen- und Außenseite, insofern das Diesseits der Grenze, also der Inhalt der Innenseite einen Wert annimmt, der als value of the expression auch benennbar ist. Hinter dieser Benennbarkeit verbirgt sich nichts anderes, als jenes Schema, das oben im Zusammenhang mit der Problematik von ursprünglicher Setzung und Identifizierung des Agenten auftauchte. Wie dort der Agent in einem Akt der Selbstdifferenzierung und -identifizierung zur Existenz gelangte, so vollzieht die distinction, indem sie ein Eines gegen ein Anderes in Opposition setzt, simultan auch die indication, da sich eine Unterscheidung immer nur sinnvoll anhand als unterschiedlich erkannter Kriterien vollziehen kann. Diese Kriterien sind aber - einmal gebildet - auch benennbar. D.h. von Differenzierung in ihren vollen Gehalt kann erst dann gesprochen werden, wenn sie als wechselseitige Gründung und Verwiesenheit von Unterscheiden ( |) und Unterschiedenem (p|) verstanden wird, die sich im selben Akt simultan generieren.2 Genau hierin aber bestand das Problem, das die différance aufwarf, nämlich die Frage nach einer adäquaten Abbildung jenes Sowohl-als auch, das sich als präsemiotische, Sinnkonstitution ermöglichende Funktion" einer prozessualen Darstellung dem Rahmen der Positivsprache entzog. Wenn nun für Spencer Brown eine Unterscheidung aber auch in jenem simultanen Zugleich von distinction und indication besteht, muß diese Dialektik in irgendeiner Form Eingang in seinen Kalkül finden.

Es zeigt sich, daß das Problem zwar explizit reflektiert wird, die von Spencer Brown projektierte Lösung jedoch nicht der eigentlichen Dialektik der Problemstellung gerecht wird. Dies insofern als er der paradoxal anmutenden Situation, daß eine Unterscheidung die doppelte Funktion von Bezeichnung und Unterscheidung zugleich erfüllen soll, dadurch zu entgehen sucht, daß die Unterschei-dung in einer zirkulären Bewegung wieder in das von ihr vormals Unterschiedene eintritt. Mit der Figur des sogenannten re-entry wird nun aber nicht ein dialektisches Wechselspiel initiiert, da die damit beschriebene Zirkularität sich letztlich wieder in eine lineare Darstellung überführen läßt. Dies deswegen, weil der re-entry sich in der Zeit ereignet, und das heißt immer in einem klar bestimmbaren Verhältnis der Sukzession.3 Zwischen Unterscheidung und Unterschiedenem läßt sich auch durch das Zurückbiegen der Form der Unterschiedung in das von ihr Unterschiedene eine eindeutige Zeitenfolge nicht umgehen, vielmehr tritt das Verhältnis als ein Abhängigkeitsgefüge von vorzeitiger distinction und nachzeitiger indication in der Figur des re-entry erst deutlich hervor, nicht zuletzt indiziert durch die Präfigierung des Terminus.

Insofern mag Dirk Becker zwar mit Recht sagen, daß man es bei Unterscheidungen mit selbstreferentiellen Operationen zu tun hat"4, jedoch stellt sich die Frage, inwieweit damit ein Fortschritt erreicht ist, wenn Selbstreferentialität dann allein als Ausdruck einer funktional in sich geschlossenen Bezüglichkeit innerhalb einer Operation rangiert, ohne darüber Rechenschaft abzulegen, wie diese Bezüglichkeit intern strukturiert ist. Ein Blick darauf nämlich würde in dem von Becker angeführten Kontext erkennen müssen, daß die Form der Unterscheidung bei Spencer Brown letztlich immer noch einem Ursprungsdenken verhaftet ist, die erwähnte Selbstreferentialität - wenn davon überhaupt die Rede sein kann - eine nachträglich vermittelte ist. Dies dahingehend, als die Figur des re-entry einer echten Selbstreferentialität der Unterscheidung entgegenarbeitet, da mit dem Wiedereintritt der Unterscheidung in das Unterschiedene der (in der différance noch deutlich erkennbaren) Aspektdoppelung der Unterscheidung eine ontologisierende Gründung zweier Entitäten angelegt ist, nämlich mark und value. Dieses Mißverständnis, das ja bereits Glanville die Probleme bescherte, führt darüberhinaus zu der höchst unliebsamen Konsequenz eines infiniten Regresses. Denn wie soll der Prozeß der Unterscheidung, die sich in das Unterschiedene zurückgebogen hat, um es als value gegenüber dem mark zu identifizieren, zu einem Stillstand kommen, wenn nun an die Unterscheidung wiederum die Forderung ergeht, sich selbst von dem soeben indizierten Wert abzusetzen. Dies muß sie aber notwendig, da das Unterschiedene nicht das Unterschiedene wäre, wenn die Unterscheidung als solche" sich nicht von ihm unterscheiden würde. Die Unterscheidung, die in das Unterschiedene wiedereingetreten ist, um es gegenüber sich selbst zu unterscheiden, muß nun wieder an ihre alte Position zurückkehren, da hier ja jetzt ein neues Unterschiede