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6.2 Polykontexturalität als logoide Form der Dialektik


Wenn die Günthersche Reflexionsthematik auf den Kalkül appliziert wurde, so geschah dies entlang des vom frühen Günther verfolgten Impetus', den tranzendentalen Idealismus wenn nicht zu beenden, so doch dessen Probleme zu befrieden. D.h. es handelt sich hierbei um erkenntnis- und reflexionslogische Probleme, wie sich in der Tradition Kants, Fichtes, Hegels und Schellings stellen. Damit aber ist der Rahmen innerhalb dessen sich ein solches Unterfangen bewegt, eindeutig als das zur Diskussion stehende erkennende Bewußtsein bestimmt, wobei die Betonung eindeutig auf dem unären das liegt. Wie ist Erkenntnis und dann auch in Einheit gedachte Selbsterkenntnis für das denkende, erkennede Bewußtsein gewiß zu erlangen? Ob dieses Bewußtsein nun das individuelle, allgemeine oder absolute Bewußtsein ist spielt dabei eine untergeordnete Rolle, insofern für den transzendentalen Idealismus sich die Frage nach der kategorialen Unzugänglichkeit und Existenz anderer Bewußtseinsräume überhaupt nicht stellt.

Geht es darum die Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens für das endliche Bewußtsein zu ergründen (Kant), werden diese Bedingungen so wie alle Erkenntnisse als reine Tätigkeit des absoluten Ichs verstanden (Fichte), handelt es sich um die Analyse des Absoluten, die auf dem Boden der Geschichte dessen Emanation zu erkennen sucht (Hegel) oder ist es schließlich der Versuch, Natur und Geist im Absoluten als identisch zu erklären (Schelling), nie in Frage gestellte Voraussetzung dieser verschiedenen Unternehmungen ist die Einheit des Erkenntnisraumes und die Selbstverständlichkeit einer für alle Erkenntniszentren gleichen Gültigkeit, auch wenn diese um den Preis der Hypostase eines transzendentalen Subjektes erkauft werden muß. Anders ausgedrückt handelt es sich grundsätzlich um eine Philosophie des Ich, was nicht bedeutet, daß das Ich zum maßgeblichen Thema wird, sondern auf die Selbstverständlichkeit abzielt, mit der vom Ich her und nur aus diesem Raum heraus in vollständiger Unabhängigkeit und Ignoranz eines Anderen, eines Du, spekuliert wird. Das von mir und für mich als gewiß erkannte wird notwendig für alle anderen Bewußtseinsräume als zwingend präsupponiert, ja erhebt den Anspruch, diese als eine Spielart" des eigenen und also allgemeinen Erkenntnisvermögens zu deuten. Somit geht das Interesse des kritizistischten, spekulativen oder transzendentalen Idealisten von dem einen und im gleichen Maße allgemeinen Bewußtsein aus, um von dort her die Frage nach der mehr oder weniger möglichen Erkenntnis des ebenso einen wie allumfassenden Absoluten zu stellen. Die Basis eines solchen Denkens aber ist ein absoluter Logozentrismus, die totale Monokontexturalität bezüglich Erkenntnisvermögen und Erkenntnisgegenstand.

Wenn nun Günthers Reflexionslogik sich anhand dieser Problematik entwickelt, so kreisen seine Überlegungen zunächst um die konstitutionellen Bedingungen des Selbstbewußtseins, d.h. um die Frage, wie es aus sich selbst heraus reflexional zu einem strukturellen Begriff seiner selbst gelangen kann. Auf dieser Stufe ist also vom Anderen noch keine Rede, und isoliert betrachtet läßt sich diese Analyse mit vollem Recht als eine monokontexturale klassifizieren. Seine frühen reflexionslogischen Erörterungen stehen also noch deutlich auf dem Boden der Transzendentallogik, d.h die dialogische Konstitution und Konstruktion eines komplementären Ich-Du-Verhältnisses findet hier für den einen Part ihre vorbereitende theoretische Fundierung.

Wenn diese letzten Überlegungen nun wieder in Anbindung an Spencer Brown gesehen werden, so zeigt die Adaption seines Kalküls an die reflexions- und transzendentallogischen Ausführungen Günthers, daß dieser Transfer offensichtlich nur dann Erfolg verspricht, wenn Günther selber in monokontexturalen Strukturen verbleibt. Unter polykontexturalem Gesichtspunkt bleibt die oben erwiesene Überforderung des calculus of indication zweifelsfrei bestehen. Die notwendige Dialektik, die erforderlich ist simultan-komplementäre Prozesse abzubilden, bleibt ihm verschlossen. Solche Prozesse beschreiben zu können, ist jedoch eine unumgängliche Voraussetzung, will man Selbstreferentialtät adäquat für einen Formalismus operabel gestalten. Denn Selbstreferentialität, so sie nicht mehr von einen mehr oder weniger latenten Ursprungsdenken herrührt, sondern in zeitgleicher, wechselseitiger, nichtlinearer Gleichursprünglichkeit erfaßt werden soll, kann nicht umhin, sich als diskontexturales, verteiltes und vermitteltes komplexes System zu verstehen. Dieser Anspruch aber erging an die reflexionslogische Konstitution des Selbstbewußtsein nicht, da Günther auf dieser Stufe weder die dia-logische Konstruktion des Selbst aus dem Ich-Du-Verhältnis heraus, also Subjektivität als distribuierte im Gegensatz zur notwendigen Verobjektivierung des Du in der Tradition entwickelt, noch die dialektische Vermittlung von Kognition und Volition als mechanistische Grundstruktur des Subjektes im Blick hat.

Somit bleibt der calculus of indication hinsichtlich der an ihn gestellten Ansprüche unbefriedigend, insofern er als ein auf dem Boden der Monokontexturalität konzipierter Formalismus nicht in der Lage ist, der darin angelegten Linearität zu entkommen. D.h. er bleibt einem Ursprungsdenken verhaftet, das damit auch ein Denken der Identität ist. Gerade dem jedoch gilt es zu entfliehen, wenn die Dialektik der différance, die Prozessualität der Semiosis, nicht mehr länger nur eine positivsprachliche Umschreibung, sondern eine negativsprachliche Abbildung erfahren soll. Dem Kalkül ist es jedoch versagt, Selbstbezüglichkeit ohne zeitlich-sukzessive Vermittlung abzubilden, die Figur der re-entry leistet den Wiedereintritt eben als ein wieder und nicht als eine simultane Genese von Unterscheidendem und Unterschiedenem, wie es der Differenzierung eigen ist.

Diese simultane Genese in ihrer Prozessualität darstellen zu können, ist jedoch die hier verfolgte Zielsetzung, um über die positivsprachlichen Einkreisungsversuche Hegels, Heideggers und Derridas hinaus, auf die Bedingungen der Möglichkeit des und ihres Schreibens selbst zu stoßen. Denn hatten diese im Rahmen der Objektsprache mehr oder minder gelungene Ansätze gestartet, innerhalb der Sprache deren sinngenerierende Konstitutionen mit ihren (der Sprache) eigenen Mitteln freizuleg