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3.2 System und Umgebung


Im Kapitel 5 wurde eingehend der Subjekt-Begriff Günthers dargestellt, wobei sich als signifikantes Merkmal die streng durchgehaltene kybernetische Perspektive abzeichnete, wonach Subjektivität als Programmstruktur erschien, innerhalb derer als Vermittlungs- und Fundierungsrelation die Proemialrelation markiert werden konnte. Proemialität als Fundierungsrelation hinsichtlich Ordnung und Umtausch stellt aber nicht nur im Zusammenhang mit der Subjektivität einen basalen Funktionsmechanismus dar, sondern bildet, da sie die Unterscheidung von Form und Stoff durchkreuzt"1 im Theoriegebäude Günthers eine, wenn nicht die fundamentale Kategorie. Dies nicht zuletzt deswegen, weil Polykontexturalität als Zusammenspiel von Hierarchie und Heterarchie grundsätzlich mit den beiden Relationen von Umtausch und Ordnung arbeitet und somit in diesem Zusammenhang immer auf die Proemialrelation verwiesen wird. Im folgenden Kapitel soll nun darauf gesehen werden, inwiefern sich Proemialität als Wirkmechanismus im Rahmen technischer Produktion feststellen läßt, oder besser und umgekehrt: Inwieweit verändert sich das Paradigma der Beschreibung technischer Produktionsprozesse, wenn Technik und Technologie als polykontexturale Phänomene einer strukturalen Beschreibung unterzogen werden? Das heißt aber nicht einfach ein besseres Deskriptionsmodell an die Stelle eines unzureichenden zu setzen, sondern erhebt gleichzeitig die Forderung einer neuen Formation technischer Prozesse, womit die strukturelle Reformulierung immer auch eine der erkannten Komplexität adäquate Reorganisation der Produktionsprozesse bedeutet.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß dem Isomorphieprinzip folgend Positivität und Negation als symmetrisches Umtausverhältnis beschrieben werden kann, wobei es für das Gesamtsystem der Aussagen irrelevant ist, welche der beiden Seiten bevorzugt wird. Für die Interpretation der Welt jedoch ist es notwendig, daß die beiden Systeme einander ergänzen, d.h. daß sie als einander ebenbürtig betrachtet werden müssen. Da es aber unmöglich ist, gleichzeitig in beiden Systemen zu argumentieren, ohne daß dadurch ein Widerspruch entsteht, bedarf es einer Entscheidung, wodurch die ursprüngliche Symmetrie gebrochen und zwischen den unterschiedlichen Themen ein hierarchisches Ordnungsverhältnis etabliert wird. Dies vollzog die klassische Logik dahingehend, daß sie die Positivität mit dem Sein identifizierte, wodurch der Subjektivität, dem Denken, die untergeordnete Rolle zukam. In dem nunmehr asymmetrischen Verhältnis ergibt sich also ein privilegierter Standpunkt, der die Schwebe zwischen Positivität und Negation auflöst und auf der Basis dieser Entscheidung eine Ordnungsstruktur erzeugt. Für zwei Ordnungen aber gilt, daß sie sich eher bestreiten als ergänzen, denn jedes System hält nämlich per se den Anspruch aufrecht, für absolut genommen zu werden."2 So hat die Entscheidung für eines der möglichen Motive nicht nur eine inhaltliche Bestimmung des Aussagensystems zur Folge, sondern gleichzeitig wird die Möglichkeit des anderen Subsystems geleugnet. Dieses Zurückdrängen des anderen Themas bedeutet aber auch, daß die Interpretation der Welt prinzipiell unvollständig bleibt. Der Anspruch eines Systems, alles was es gibt, innerhalb seiner selbst stattfinden zu lassen"3, verdeckt jedoch die Notwendigkeit der thematischen Entscheidung, die nicht innerhalb des Systems getroffen werden kann. Fällt die klassische Logik diese Entscheidung dahingehend, daß der designierende Wert das Sein-überhaupt bestimmt, so ist dieses Sein das als Schöpfung Gottes gedachte fertige und vollendete Sein. Wird Sein solcherart als schon gewordenes betrachtet, als das Entscheidungsresultat ursprünglicher unentschiedener Verhältnisse"4, so findet der Prozeß der Entscheidung in einem unerreichbaren Außen statt und verlangt ein mythologisches Subjekt, dem die Erschaffung zugeschrieben werden kann. Alle Tätigkeiten des (irdischen) Subjekts verkommen zur bedeutungslosen Geschäftigkeit, deren theologische Interpretation als Eitelkeit des Staubes" ein Hinweis darauf ist, daß die im Schweiße des Angesichts verrichtete Arbeit des Subjekts nicht Dauerhaftes und Fundamentales produzieren kann, denn Schöpfung bleibt eben jenem göttlichen Subjekt vorbehalten. Ebenso gilt für die klassischen Naturwissenschaften, daß das Subjekt nur negativ verstanden werden kann - als Störung in den zweiwertig formulierten Aussagen über das objektive Sein. Wenn es aber darum gehen soll, die Mechanik des Schöpfungsaktes zu verstehen, so heißt dies, die Arbeit Gottes als etwas zu nehmen, das ins Diesseits transponiert werden muß. Denn solange es ein absolutes Außen gibt, einen unerreichbaren Ort, auf den sich die mythologischen Jenseitserwartungen richten, erscheint jede diesseitige Anstrengung als unwichtig - und alles was sich im Diesseits als widersprüchlich herausstellt, kann ins Jenseits gebannt werden, wo nichts mehr gewußt wird vom Schweiße der Arbeit und wo die Gedanken leicht und schmerzlos beieinander wohnen."5 Vernichtung der Gegensätze in der coincidentia oppositorum bedeutet aber auch, daß sich ein Absolutes etabliert, das allen Gegensätzen vorgeordnet ist und die Vergöttlichung des Einen betreibt".6 Das Eine, das Absolute zeichnet sich gerade dadurch aus, daß es alles aus sich entstehen läßt, ohne daß dadurch ein zweites oder Anderes geschaffen würde, sondern das Eine (Gott) schafft letztlich nur sich selbst. Da das Absolute aber zugleich außerhalb des Geschaffenen bleiben muß, bedarf es der göttliche Vernunft, deren Ort das Jenseits ist, wo sich die Identifizierung von göttlichem Denken und Sein im Zusammenfall der Gegensätze ausdrückt.

Diese Identifizierung von Denken und Sein stellt somit den ins Absolute gesteigerten Ausdruck des Isomorphieprinzips dar, das auf diesem Weg auch Gültigkeit für das göttliche Denken erhält. Hier jedoch sind die Begrenzungen des menschlichen Verstandes aufgehoben, ist beispielsweise die Einschränkung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, der nach Aristoteles zwar für das Zukünftige gelte, aber auf dasselbe nicht mehr anwendbar sei"7, für das Absolute nicht mehr zutreffend. Für das Denken gilt also, daß es seiner Struktur nach darauf zielt, aus dieser Welt hinauszuweisen, in jenen metaphysischen Bereich, dessen Ordnung vom Allgemeinsten und Endgültigen bestimmt ist, um auf diesem Weg dem intramundanen Denken in der theoria einen Sicherheit verheißenden Anhalt an den von irdischer Kontingenz gereinigten ewigen Werten zu suchen. Das Prinzip dieser Ordnung ist die Hierarchie, deren Gipfel jedoch im Diesseits nicht erklommen werden kann. Wenn die Basis A' - B' die Alternative rot - nicht-rot repräsentiert, dann liegt unter ihr die tiefere Alternative A" - B", Farbe - nicht-Farbe und unter der letzteren eine weitere A''' - B''', die sich in einen neuen Dualismus eines weiteren Prädikates auseinanderspannt. Und wie sehr wir auch unsere Alternativen verallgemeinern und dadurch C der absoluten Realitätsbasis A - B nähern, wir erreichen die letztere nie [...] Solange das Ich sich selbst Ich ist und als Subjektivität der Welt gegenübersteht, solange schwebt C als Reflexionsdistanz über der absoluten Ebene A - B [...] Dies ist die faktische Bewußtseinssituation des historischen Menschen, der dank seiner `Kreatürlichkeit' ewig im Abstand vom Absoluten bleibt und seinen eschatologisch - utopischen Endzustand in der Geschichte niemals erreichen kann."8 Daher bedeutet die Orientierung des Denkens auf das Jenseits, daß alle diesseitigen Anstrengungen nur von vorübergehender Bedeutung sind, und es ist nicht zu verkennen, daß in dieser Orientierung auf das Transzendente eine totale Entwertung der Arbeit liegt."9

Das Material der Arbeit ist nun aber nicht das Sein überhaupt, das den ersten und höchten Grund abgibt, sondern vielmehr das von Gegensätzlichkeit bestimmte Seiende. Wird diese Gegensätzlichkeit aufrecht erhalten, so gibt es neben dem "Einen" auch einen anderen Grund, der ebenso als der höchste genommen werden kann. Sind somit zumindest zwei Gründe gegeben, von denen keiner aus dem anderen abgeleitet werden kann, bedarf es einer Struktur, die diese nichtreduzierbare Alternative darzustellen vermag. Jedes hierarchiesche System jedoch läuft per se auf immer nur einen Grund zurück, womit sein struktureller Rahmen für eine solche Darstellung nicht ausreichend ist. Ein heterarchisches System hingegen ermöglicht die Darstellung gleichrangiger Gründe, da für ein solches Sytem es neben dem höchsten Grund noch weitere "höchste Gründe" geben kann, und daher ist jeder hierarchische Grund auch ein Nicht-Grund, ein abgeleiteter. Der Grund und sein anderer/anderes sind in einem heterarchischen System zu einem komplexen Ganzen verbunden,"10 wodurch Gegensätzlichkeit vereinigt und vernichtet wird. Eine derartige Struktur kennt kein Jenseits mehr, da das Verhältnis von Innen und Außen gerade die Grenze des Absoluten thematisiert. Das bedeutet aber auch, daß das neu gewonnene Verhältnis zwischen Diesseits und Jenseits nicht durch die Aufhebung bzw. Auflösung der Grenze erreicht wird, sondern daß es nun darum geht, die "Arbeit Gottes" ins Diesseits zu ziehen. Damit ist eine Praxis gemeint, die Schöpfung als Handlund versteht, womit dem Denken ein gleichrangiges Motiv nebengeordnet wird. Mit Denken und Handeln sind also zwei gleichrangige Motive gegeben, wobei das Denken immer hierarchisch in Richtung auf das Jenseits deutet, die Handlung oder der Wille hingegen immer im Diesseits verbleibt. Wenn es die Aufgabe des Willens und der Handlung ist, ganz im Diesseits zu bleiben, dann darf die Mechanik des Willen sich nicht nach hierarchischen Gesetzen richten. Es ist unvermeidlich, daß sie heterarchisch strukturiert ist. Es gehört zwar zum Wesen des Denkens, daß es niemals sich selbst, sondern das Andere, Allgemeinste und Endgültige will, aber der Wille will letzten Endes nur sich selbst. Er ist seiner innersten Struktur nach zyklisch. Er kann also nirgend aus dieser Welt hinausweisen."11

Mit Hierachie und Heterarchie sind zwei Ordnungen gegeben, die nicht aufeinander reduziert werden können, sondern in einem komplexen Wechselspiel miteinander verbunden sind, womit sich ein anderes Verhältnis zwischen Innen und Außen konstituiert, das als Simultaneität verstanden werden kann. Da nunmehr verschiedene Standpunkte innerhalb der aus vermittelten Systemen bestehenden System-Ganzheit eingenommen werden können, wird die Grenze zwischen Innen und Außen nicht mehr als das Obstakel (Günther) verstanden, sondern markiert einen Strukturwechsel, der von einem vermittelten System aus beschrieben werden kann. Dieser veränderte Begriff der Grenze kann nun auf das Verhältnis von Diesseits und Jenseits derart angewendet werden, daß das Jenseits nicht mehr in seiner metapysischen Topographie begriffen wird, sondern als das Außerhalb genommen wird, das die Struktur des Verhältnisses von Innen und Außen `ist´".12 Jenseits, oder eigentlich besser Jenseitigkeit, bringt somit die schematische Je-Andersheit zum Ausdruck, in der sich Innen und Außen begegnen, und wird auf diesem Weg, als Strukprinzip, säkular. Die damit eingeleitete Immanation des Jenseits bedeutet also nicht, daß die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben wird, es bedarf nun vielmehr einer Handlung, die im Diesseits das zu erbringen vermag, was der mythologische Jenseitsglaube erst für das Eschaton versp