Joachim Castella

I.M.A.G.E.
Institut f�r Medienanalyse und Gestalterkennung

Wilhelm-Nieswandt-Allee 104, Postfach 12 02 79, 45 314 Essen, Germany, Fax 0201-83 444 61

Kreise, Unterschiede, Negativit�t

Graphematische Probleme der K�nstlichen Intelligenz

In: Spuren. 41, 4/1993, S. 57-60, � beim Autor

 

In der Mitte der zwei, im Zwischen von Welt und Ding, in ihrem inter, in diesem Unter- waltet der Schied
Heidegger, Unterwegs zur Sprache

1. Der Unterschied mache einen Unterschied, erkl�rt Gregory Bateson [1], und niemand wird diese, weil tautologische Aussage ernsthaft bestreiten. Doch was genau ist hierin angelegt, wenn damit mehr als eine sprachlich am�sante Formulierung gegeben sein soll?

Zun�chst l��t sich feststellen, da� der Satz "Ein Unterschied macht einen Unterschied." zugleich in beide Richtungen gelesen werden kann, ohne seinen Sinn zu ver�ndern. Anders ausgedr�ckt handelt es sich um einen selbstr�ckbez�glichen Satz, d.h. um einen Satz, dem keine eindeutige Gerichtetheit zugeordnet werden kann, der sich der Linearit�t von Anfang und Ende entzieht. Nicht-linear zu sein ist aber nur ein notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Kriterium f�r Selbstr�ckbez�glichkeit, insofern Nicht-Linearit�t auch Zirkularit�t bedeuten kann, welche sich aber problemlos wieder auf die Linie abbilden l��t. "Ein Unterschied macht einen Unterschied, macht einen Unterschied ..."

Der obige Satz jedoch stellt keine unendliche Iteration dar, verbleibt vielmehr in der Struktur von Subjekt - Pr�dikat - Objekt, wobei sich die Besonderheit erkennen l��t, da� Subjekt und Objekt ihre Rolle tauschen k�nnen, da� also nicht eine Zirkularit�t im Sinne einer blo�en Wiederholung vorliegt, sondern die Kreisstruktur sich durch die Beliebigkeit der Richtung auszeichnet. Damit jedoch ist der Abbildung auf die Linie der Weg versperrt, insofern Linearit�t an die Einmaligkeit des Ursprungs und den sich daraus ergebenden Richtungssinn gebunden ist. Anders gewendet bedeutet dies, da� Selbstreferentialit�t nicht allein an die Zirkularit�t gebunden ist, sondern dar�berhinaus einer nicht-iterativen, d.h. dual gerichteten Zirkularit�t bedarf.

Ist Zirkularit�t gegeben, wenn sich die Katze in den Schwanz bei�t, so kann von Selbstreferentialit�t erst gesprochen werden, wenn der Schwanz zur�ckbei�t. Damit aber ist die urspr�ngliche Rede von Subjekt/Objekt insofern obsolet, als sie ihre G�ltigkeit nur innerhalb einer Richtung beibeh�lt, da der Richtungswechsel die Einteilung umkehrt, was des weiteren bedeutet, da� Selbstreferentialit�t ein nicht-hierarchisches Beziehungsgef�ge ist, da sich die Asymmetrie von Subjekt/Objekt mit der Aufhebung der Absolutheit dieser Dichotomie ebenfalls verfl�chtigt.

Wenn nun der Satz "Ein Unterschied macht einen Unterschied." sich der eindeutigen Zuordnung bzgl. Subjekt/Objekt verweigert, so darf dies nicht dahingehend verstanden werden, als sei damit der Beliebigkeit T�r und Tor ge�ffnet, vielmehr soll die die Konsistenz garantierende Zuordnung aus ihrer Eindeutigkeit in eine Dualit�t �berf�hrt werden. Erkennt man in dem Beispiel eine Operation, so wird die von einem Ursprung her konzipierte Unilinearit�t von Operator und Operand in die bi-origin�re Struktur des Chiasmus �berf�hrt, wonach der Operator, der auf den Operanden einwirkt selber Operand eines Operators wird, dem er zuvor/zugleich als Operator begegnet(e). D.h. die Tautologie des Unterschiedes wird dahingehend aufgeschl�sselt, da� sich der Unterschied in gegenl�ufiger Bewegung einmal als Operator/Operand, zum anderen als Operand/Operator begegnet. Selbstreferentialit�t des Unterschiedes bedeutet dann, da� die Unterscheidung eine chiastische oder dialektische Operation darstellt wonach Unterscheidendes zum Unterschiedenen wird und Unterschiedenes zum Unterscheidenden. Diese Struktur der Selbstr�ckbez�glichkeit versagt sich jedoch, wie das Diktum Bateson's zeigt, ihrer positiv-sprachlichen Darstellung, da die Sprache der Unilinearit�t und eindeutigen Subjekt-Objekt-Beziehung verpflichtet ist. D.h. eine strukturale Darstellung der Unterscheidung mu� notwendigerweise die Grenzen der Positivsprache verlassen, will sie sich nicht in Bereiche begeben, wie sie als Kondensationspunkte eines Ringens mit der Selbstbez�glichkeit vor dem Dilemma �u�erster Verdichtung und gleichzeitiger Sprachlosigkeit im Denken Heideggers erscheinen, wenn das Ding dingt, die Welt weltet und das Nichts nichtet.

2. Spencer Brown versucht beiden Anforderungen Rechnung zu tragen, wenn er einen Kalk�l entwirft, der antritt, Selbstreferentialit�t abzubilden und zwar in einer der Substantialit�t enthobenen Sprache des Formalen, womit sein Kalk�l den Anspruch erhebt, die Form der Unterscheidung operational aufbereiten zu k�nnen. [2]

Dabei erscheint die Unterscheidung, deren Notation sich im mark of distinction (.|) ausdr�ckt, als eine Aufteilung, die den vormals homogenen Raum in zwei nun durch diese Grenzlinie getrennte R�ume scheidet. Die Unterscheidung, die sich gem�� des mark vollzieht, definiert sich demgem�� als das Setzten einer Grenze im Raum "with seperate sides so that a point on one side cannot reach the other side without crossing the boundary" [3], wobei die konvexe Seite des mark dessen Au�enseite bildet, die konkave Seite als Innenseite erscheint.

Dieser Innenseite gilt es, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, insofern sich hier die Aspektdoppelung der Unterscheidung erkennen l��t, die den Akt der Unterscheidung zum einen in seiner prozessualen Dimension erscheinen l��t, womit das Ziehen der Unterscheidung mit dem Setzen des mark koinzidiert, und die zum anderen das resultativ Unterschiedene generiert, was bei Spencer Brown durch den indizierten Wert der Unterscheidung auf der Innenseite des mark angezeigt wird (p|). D.h. Unterscheidung ersch�pft sich nicht darin, als Akt der Grenzziehung reine Teilung des Raumes zu sein (distinction), sondern ist immer und gleichzeitig auch die Bezeichnung (indication) der nunmehr generierten Seiten des mark.

Diese Bezeichnung liefert aber mehr als das blo�e Erkennen von Innen- und Au�enseite, insofern das Diesseits der Grenze, also der Inhalt der Innenseite einen Wert annimmt, der als value of the expression auch benennbar ist. Somit vollzieht die distinction, indem sie ein Eines gegen ein Anderes in Opposition setzt, simultan auch die indication, da sich eine Unterscheidung immer nur sinnvoll anhand als unterschiedlich erkannter Kriterien vollziehen kann. Diese Kriterien sind aber - einmal gebildet - auch benennbar. D.h. von Unterscheidung in ihren vollen Gehalt kann erst dann gesprochen werden, wenn sie als wechselseitige Gr�ndung und Verwiesenheit von Unterscheidendem ( |) und Unterschiedenem (p|) verstanden wird, die sich im selben Akt simultan generieren. Genau hierin aber bestand das Problem, das sich hinsichtlich seiner ad�quaten Abbildung als dieses prozessuale Sowohl-als-auch der Darstellung dem Rahmen der Positivsprache entzog. Wenn nun f�r Spencer Brown eine Unterscheidung aber auch in jenem simultanen Zugleich von distinction und indication besteht, mu� diese Dialektik in irgendeiner Form Eingang in seinen Kalk�l finden.

Es zeigt sich, da� das Problem zwar explizit reflektiert wird, die von Spencer Brown projektierte L�sung jedoch nicht der eigentlichen Dialektik der Problemstellung gerecht wird. Dies insofern als er der paradoxal anmutenden Situation, da� eine Unterscheidung die doppelte Funktion von Bezeichnung und Unterscheidung zugleich erf�llen soll, dadurch zu entgehen sucht, da� die Unterscheidung in einer zirkul�ren Bewegung wieder in das von ihr vormals Unterschiedene eintritt. Mit der Figur des re-entry wird nun aber nicht ein dialektisches Wechselspiel initiiert, da die damit beschriebene Zirkularit�t sich letztlich wieder in eine lineare Darstellung �berf�hren l��t. Zwischen Unterscheidung und Unterschiedenem l��t sich auch durch das Zur�ckbiegen der Form der Unterscheidung in das von ihr Unterschiedene eine eindeutige Zeitenfolge nicht umgehen, vielmehr tritt das Verh�ltnis als ein Abh�ngigkeitsgef�ge von vorzeitiger distinction und nachzeitiger indication in der Figur des re-entry erst deutlich hervor, nicht zuletzt indiziert durch die Pr�figierung des Terminus. D.h. wenn mark und value nicht als zwei Seiten einer Medaille aufgefa�t werden, die simultan sich wechselseitig generieren, sondern als zeitlich-zirkul�r vermittelte Gr��en gelten, dann geht die Rede von Selbstreferentialit�t eigentlich fehl, und verschleiert die implizit angelegte Unendlichkeit in der Stufenfolge von Gr�nden und Begr�nden.

Damit erweist sich das Scheitern des Spencer-Brown-Kalk�ls als ein Kalk�l der Selbstreferentialit�t, insofern er nicht in der Lage ist die hierzu notwendige Dialektik, bzw. Chiasitik abzubilden. Selbstbez�glichkeit als die duale Lesart des Satzes vom Unterschied bedarf aber gerade einer nicht mehr monokontexturalen Fundierung, da die simultane Umkehr von Operator und Operand sich allein von einem heterologischen Standpunkt her konsistent denken l��t. Erst Heterologie, resp. Polykontexturalit�t erm�glicht dieses Zugleich, in dem sich das Selbe auf sich selbst als das Gleiche r�ckbezieht.

3. Damit aber ist ein Bereich angesprochen, der sich dem Denken der Identit�t, des Ursprungs, der Linearit�t entzieht, aber auch der Pr�senz und dem Seienden selbst, insofern Selbstbez�glichkeit ihre operationale Darstellung, und das hei�t ihre prozessuale Abbildung, nur in einem strukturalen, non-substantialistischen Raum erfahren kann. Es ist hiermit jene Dimension angesprochen, die sich den Bestimmungen des Positiven und Negativen selbst noch entzieht, insofern diese Dichotomie sich allein auf der Basis der materialen Affirmation und Negation ereignen vermag. Denn Affirmation und deren negatives Spiegelbild, die Negation, verbleiben gerade als Zu- und Absage an Seiendes immer noch in dem dem Nichts/Sein nachgeordneten Bereich des Vorontologischen, des Ontischen. Erweist sich das reine Nichts/reine Sein somit als eine Dimension, die ein Jenseits markiert, das die Alternative von Position und Negation, Ja und Nein, 0 und 1 in die ontische Diesseitigkeit m�glicher Entscheidungen verbannt, so l��t sich dieses Diesseits der Menge der vorliegenden Entscheidung, als die Positivit�t erkennen. Dieser Positivit�t aber steht die Negativit�t gegen�ber, als jener Bereich der basalen Erm�glichung, oder mit Heidegger gesprochen der Gabe und Spende, da� Seiendes sich �berhaupt ereignen kann. Es ist dies der Bereich, in dem sich das Geschehen des Ereignisses ereignet, denn das Ereignis "erbringt das An- und Abwesen in sein jeweilig Eigenes, aus dem dieses sich an ihm selbst zeigt und nach seiner Art verweilt." [4]

D.h. aber, da� dasjenige, woraufhin das Ereigneis als der er�ffnende Raum fungiert, wieder eine Form der Pr�senz ist, die gleichzeitig als die Ebene angesehen werden mu�, auf der sich der Sinn von Sein erkennen l��t. Das Ereignis bleibt somit ein seinthematisches Paradigma, das, selbst raum-zeit-transzendent, dem Sein die Gew�hr ist, sich anwesend-pr�sentisch zu ereignen. Somit ist das Ereignis zwar eine Figur, die sich in der "Tropik der Negativit�t" verorten l��t, die sich aber als das geforderte "Denken des Au�en" nur im Sinne eines genitivus objektivus verstehen l��t. Denn eine Interpretation als das Denken, das sich im Au�en vollzieht, das das Au�en selbst vollzieht und das damit das kategorial andere w�re, verbietet sich hier, da das Ereignis zwar jenseits der Grenze gedacht wird, jedoch aus dem Diesseits heraus und funktional so angelegt, wieder in dieses zur�ckzukehren, in der unl�slichen Konnektivit�t von Sinn und Sein.

Dagegen gilt es dann aber, vollst�ndig im Bereich der Negativit�t zu verharren, somit"die M�glichkeit von Sinn zu bestimmen, ausgehend von einer 'formalen' Operation, die in sich selbst keinen Sinn hat, was nicht hei�en soll, sie sei der Unsinn oder die be�ngstigende Absurdit�t ..." Ein solches, das sich struktural und funktional zur G�nze dem der Positivit�t und Pr�senz unterworfenen Logos der Beschreibung entzieht, das sich restlos in der Negativit�t verschlie�t, findet Derrida in der chora, jenem triton genos, das Platon im Timaios als das dritte Geschlecht dem Seienden und Werdenden als den Ort ihres "Woraufhin der Erm�glichung" zur Seite stellt. Dasjenige, was unter chora gedacht werden mu�, vollzieht also seine vollst�ndige Bewahrung in der Andersartigkeit, da die chora, die selbst nichts mehr gibt und figuriert, keinem Telos folgt, welches sie in die Diesseitigkeit der Pr�senz zur�ckf�hrte. Brachte das Ereignis als Erm�glichung von Sinn diesen Sinn hervor, insofern Seiendes in sein Anwesen gelangte, also Sinn immer pr�sentischer Sinn von Sein war, so transformiert die chora, als dasjenige, was sich nicht nur in der Negativit�t "lokalisieren" l��t, sondern was aus dieser Negativit�t nichts hinaus sendet/spendet, auch die Bestimmung von Sinn. Das Ereignis spendet den Sinn, die chora erm�glicht Sinn, und dieser Sinn kann nun nicht mehr verstanden werden als derjenige, der sich aus dem Anwesen erkennen l��t, da die Erm�glichung von Sinn mit der chora radikal im Jenseits der Grenze, in der Negativit�t beschlossen bleibt.

Wenn Sinn also erm�glicht wird, ohne sich in dieser Erm�glichung in irgendeiner Weise dem Sein, der Pr�senz zu verdanken, sondern sich alleine aus der Negativit�t ereignet, dann mu� sich sagen lassen, da� der Sinn nun nicht mehr der der Pr�senz ist, sondern jener, der sich, um mit Heidegger zu sprechen, als die aletheia der Negativit�t ergibt, also als das, was bei Gotthard G�nther die Wahrheit der Negativit�t des Nichts hei�t. [5] Sinn aus der Negativit�t, Sinn der Negativit�t, ist demnach Sinn, der sich erstellt aus dem verborgenen "Geschehen" der chora, die ihn, sich ihm entziehend, erm�glicht. Somit f�hrt die chora "eine Dissoziation oder eine diff�rance in den eigentlichen Sinn ein, den sie m�glich macht, und zwingt auf diese Weise zu tropischen Umwegen, die nicht mehr Figuren der Rhetorik sind." [6]

Hier ist deutlich das Bem�hen zu sp�ren, das Jenseits der Grenze in seiner vollkommenen Andersartigkeit bestehen zu lassen, die sich selbst einer Titulierung aus dem Diesseits verschlie�t, denn die Possesivit�t des Eigennamens ereignet sich stets als die - dann der Existenz ihres Signifikats selbst benommene - (Re)Pr�sentation. Hier spricht sich das Wissen darum aus, da� die chora sich zur G�nze in der Negativit�t verschlossen hat, die ein Eindringen auf dem Boden der Positivsprache verunm�glicht. Sie zieht sich vor dem Namen zur�ck, jedes Benennen st��t sie von sich anstatt sie zu erreichen, und stellt die Rede damit vor die Frage, "Wie davon sprechen?". [7]

4.Was bis hierhin erreicht wurde, l��t sich als eine Eingrenzung dessen verstehen, was den "Proze� der Sinngebung als Ganze[r]" [8] erm�glicht, es ist bis hierhin der Raum abgesteckt und als solcher allererst erkannt, der die Semiosis in ihrer Prozessualit�t gew�hrleistet. Dabei jedoch zeigt sich, da� das Sprechen, das sich anschickt, den umgrenzten Raum mit Konkretion zu f�llen, seinen Gegenstand stets verliert. Da das gesuchte "Wie" des Sprechens sich bislang immer auf die Sprache als Positivsprache erstreckt, sie somit in deren grunds�tzlicher, d.h. identit�tstheoretischer Problematik verfangen bleibt. Dieses unter dem "Wie" erfragte aber l��t sich nur sinnvoll unter dem Kunstwort der diff�rance denken, da das Zeichen seinen "positiven" Gehalt nun nicht mehr aus der Pr�existenz von Signifikat/Signifikant, sondern allein aus der Entgegensetznung, Unterscheidung gegen anderes beziehen kann. D.h. nicht die Identit�t des atomistischen Zeichens verspricht, den Sinn zu generieren, sondern die Differenz. Damit verbleibt die Erm�glichung der Semiosis im Gegensatz zur Heideggerschen Konzeption des Ereignisses aber vollst�ndig in der Negativit�t, wenn diese nun die Bedingung bereith�lt, da� sich Sinn non-repr�sentational generiert, wenn Negativit�t zum basalen Erm�glichungsgrund wird, der gew�hrleistet, da� Anwesenheit sich nicht in der positiven Gestalt der Pr�senz, des Seins ereignet, "sich als solches ank�ndigt in dem, was es nicht ist." [9]

Am Ende stellt sich also die Frage nach der M�glichkeit der Anwesenheit des Anderen, d.h. die Frage nach Anwesenheit des Abwesenden, heraus als die Frage nach der M�glichkeit der Differenz �berhaupt. Es wird also die Suche sein nach der Differenz, der Differenzierung in dem gedoppelten Sinn des aktual/resultativen, die Suche nach jenem Raum, in dem sich das Selbe und das Andere nicht mehr in der gewohnten Dichotomisierung gegen�berstehen. Es wird die Suche sein nach jenem Raum, dem Derrida den Namen der Spur gibt, der sich jedoch als das Au�en nur in dieser Metapher ank�ndigt, ohne der repr�sentationalen Sprache selbst zug�nglich zu sein, deren Bedingung er als die M�glichkeit von Differenzierung erst ist.

Das Denken, das die Erm�glichung von Sinn in der diff�rance mit ihrem wechselseitigen Gr�ndungsverh�ltnis von Anwesenheit/Abwesenheit erkennt, hat sich j�h dem Paradigma der Identit�t, der Pr�senz entledigt. Doch die Sprache, in der sich dieser Proze� der Verabschiedung vollzieht, ist immer noch die der Repr�sentation, der Positivit�t, aus der auch die von Heidegger und Derrida vollzogenen Durchstreichungen und mittels Anf�hrungszeichen angestrebten "Uneigentlichkeiten" kein Entkommen leisten.

Es bleibt also der Anspruch G�nthers gerechtfertigt, der eben diesem Dilemma zu entkommen sucht, indem er eine Sprache konzipiert, die nicht mehr auf das positive Sein referiert, die Negativsprache. Demgem�� ist "dieselbe [...] keine Sprache, die in dem uns vertrauten Sinne Erkenntnisse vermittelt, die sich auf ein vorgegebenes Sein beziehen." [10] Negativsprache ersch�pft sich aber nicht darin, eine k�nstliche Sprache zu sein, die den nat�rlichen Sprache gegen�ber gestellt w�rde, denn auch k�nstliche Sprachen bleiben dem signifizierenden Konzept der Positivsprache verhaftet. Auf der anderen Seite hei�t Negativsprache aber auch nicht, Umgangs- oder Positivsprache zu formalisieren und dem Gesetz der Zahl zu unterwerfen, "sondern die Bedingungen der M�glichkeit von nat�rlicher und k�nstlicher Sprache �berhaupt sollen eingeschrieben werden." [11]

Wenn nun Negativsprache darauf zielt,"ohne Verdinglichung die verdr�ngte Genese der Semiotik einzuschreiben" [12], und wenn als deren Bedingung die Differenzierung erkannt wurde, dann mu� das Hauptinteresse eines solchen Zugangs in der Abbildung der Differenz, in der Darstellung des Prozeses der Differenzierung, der diff�rance liegen. Die Suche dem Au�en stellt sich somit konkret als die Frage, nach dem, "das selber noch nicht Begriff oder Idee ist, was aber als Baustein dienen mu�, wenn Sinn und Idee erschaffen werden soll". [13]

Dabei erscheint der von G�nther hier angef�hrte Baustein gerade nicht mehr in der von diesem Begriff nahegelegten Identit�t, "sondern ist eine Funktion des Relations-zusammenhangs, in dem er erscheint." [14] Solcherart geht die Suche also auf ein nicht-substantielles, d.h. pr�semiotisches Beziehungsgef�ge, das in der Lage ist, die simultane und wechselseitige Gr�ndung von Unterschiedenem und Unterscheidendem abzubilden, was nichts anderes bedeutet als die nicht-positivsprachliche Darstellung der Mechanizit�t der diff�rance.

5. Innerhalb der G�ntherschen Relationslogik besteht eine Relation aus den beiden Relationsgliedern von Relator und Relatum, bzw. eine Operation aus Operator/Operand. Dabei stehen Operator und Operand in einem eindeutig gerichteten Ordnungsverh�ltnis, das relationsintern absolute G�ltigkeit besitzt. Allerdings erf�hrt diese Hierarchie interrelational eine Relativierung dahingehend, da� der Operator einer Relation in Bezug auf eine andere Relation als Operand erscheinen kann, ebenso wie dieser Umtausch f�r den Operanden der ersten Relation gilt. Somit l��t sich f�r zwei Relationen bzgl. ihrer Operatoren/ Operanden insgesamt ein Verh�ltnis von sowohl Ordnungs- wie auch Umtauschbeziehungen feststellen. Relationsintern besteht ein eindeutiges Ordnungsgef�ge, w�hrend zwischen den jeweiligen Relationen hinsichtlich ihrer Operatoren/Operanden ein Umtauschverh�ltnis herrscht.

Dieses komplexe Zusammenspiel von Ordnung und Umtausch wird von einer eigenst�ndigen transklassischen Relation geregelt, die G�nther unter dem Namen Proemialrelation einf�hrt. Proemialit�t kann also als jene Eigenschaft bzw. als jenes Verh�ltnis verstanden werden, das erlaubt, hinsichtlich verschiedener Bezugssysteme ein und dasselbe Datum in verschiedener und nun funktionaler Rolle zu erfassen. Was in Bezug auf die eine Relation als Relator auftritt, gilt der anderen als Relatum und (dann allerdings zwangsl�ufig) umgekehrt.

Damit ist aber gleichzeitig offenbar, da� hiermit der Rahmen der Monokontexturalt�t verlassen ist, insofern Diskontexturalit�t die notwendige Bedingung daf�r ist, da� das klassische Identit�tstheorem widerspruchsfrei au�er Kraft gesetzt werden kann, wobei dieses Au�er-Kraft-Setzen sich nur auf den interkontexturalen Raum bezieht. Proemialit�t erweist sich also als ein, wenn nicht der Fundamentalbegriff der Polykontexturalit�tstheorie, insofern es mit seiner Hilfe m�glich ist, jene die Eindeutigkeit der klassischen Logik vergiftende �berdetermination begrifflich klar ohne jegliche Ambiguit�t zu erfassen.

�berdetermination, d.h. die Eigenschaft, da� ein und dasselbe Datum simultan zwei verschiedene und innerhalb einer Kontextur betrachtet widerspr�chliche Funktionen erf�llen kann, ist aber die notwendige Voraussetzung einer m�glichen Abbildung von Dialektik. Solcherart hebt Proemialt�t die Statik eines Identit�tsdenkens auf und �berf�hrt sie in eine Dynamik, in der das simultane Zugleich innerhalb der �berdertermination beider Verh�ltnisglieder die Dialektik aufzufangen vermag, die den Unterschied als eine Operation erscheinen l��t, die einen Unterschied ausmacht. Erst jetzt aber, nachdem das intrikate Vermittlungsverh�ltnis von Operator und Operand sich unter polykontexturalem Blick einem eindeutigen begrifflichen Zugang nicht mehr verschlie�t, f�llt sich diese scheinbar tautologische Formulierung mit Gehalt. Denn wenn Tautologie als Zirkularit�t verstanden wird, in der das zu Erkl�rende mit der Erkl�rung synonym ist, dann entspricht die Form der Tautologie gerade dem simultanen Zugleich, in dem der Operator als Operand erscheint und umgekehrt.

Kontextural vermitteltes Ordnungs- und Umtauschverh�ltnis von Operator und Operand stellt aber f�r sich genommen nur ein funktionales Schema dar, das sich als Denkfigur zwar durchaus als fruchtbar erweist, die Mechanizit�t der diff�rance zu erfassen, das sich jedoch wie gesehen noch vollst�ndig auf dem Boden der Positivsprache entfaltet. Es bedarf also weitergehend eines Transfers dieses Schemas, auf jenen der Positivit�t und Identit�t des Seins sich entziehenden Bereich, aus dem heraus sich die diff�rance, chora etc. speisen. Transformation und Transposition des beschriebenen Schemas auf die Dimension der Negativit�t hei�t solcherart, die Gr�ndung und Applikation dieser Mechanizit�t in einem Rahmen, in dem nicht mehr positives Sein begegnet, in dem nicht einmal Substantialit�ten der Positivsprache Statt haben, die in ihrem Differenzgehalt allererst unterschieden werden k�nnten.

Totale Reduktion des Seins hei�t dann aber in letzter Konsequenz, auch Abschied nehmen von der letzten Bastion der Positivit�t im logischen Kalk�l, hei�t Abschied nehmen von der dort tradierten Wertbelegung. Abstraktion von jeglicher Wertbelegung des Formalismus gilt als das Vordringen auf eine Ebene, die pr�semiotisch und pr�logisch als reiner Strukturbereich das Zusammenspiel und Funktionieren von non-designativen Leerstrukturen umfa�t, welche sich als Suprastrukturen demgem�� nicht mehr in der Dichotomie "wahr-falsch" wiederfinden.

Erhebt sich nun die Frage, was eine solche Abstraktion �berhaupt noch bel��t, so sei zun�chst umgekehrt die Frage aufgeworfen, was diese Dimension erbringen mu�, welche Anforderungen methodisch an sie ergehen.

Gilt der Strukturalismus als ein System von Differenzen, das deren Spiel jedoch in der Analyse positiver Distinktionen erkennt, so kann aus der Analogie eines sich hier abzeichnenden "Strukturalismus des Strukturalismus" gesagt werden, da� dieser sich als ein Differenzsystem eines Differenzsystemes darstellen mu�. D.h. traten zuvor Werte in Differenz, so gilt es nun unter Absehen von diesen Werten, Differenzen selbst in Differenz zu setzen, womit hier eigentlich das Spiel der Differenzen begegnet, wenn sich Unterschiede als Unterschiede gegeneinander unterscheiden. Die Frage nach der Form der Abbildung erweist sich als die Frage nach der Form der Form, die als eine operationale Notation gefordert ist, innerhalb derer kein positives Datum mehr Statt hat, in der Differenzen als Differenzen eingeschrieben werden, in der somit ein Nichts eingeschrieben wird, das nicht nichts ist.

Der Ort dieser Einschreibung und sein Griffel finden sich in der von G�nther konzipierten Kenogrammatik bzw. dem Kenogramm. (griech. kenos = leer) Dabei wird unter einem Kenogramm eine Leerform verstanden, die die Fundierung der die klassische Logik gr�ndenden Wertbelegung vollzieht, indem sie gerade von dieser Wertbelegung, also vom letzten �berrest absieht, der sich "auf den kontingent-objektiven Charakter der Welt bezieht" [15], sie also jenseits der Wertdualit�t "wahr-falsch" angesiedelt ist. Solcherart bereitet Kenogrammatik den Raum innerhalb dessen sich die Differenz notieren l��t als der reine Unterschied zweier Kenogramme, ohne dabei jenem infiniten Regre� der Selbstbegr�ndung zu erliegen, wie er sich unausweichlich einstellt, sucht man die Differenz als Differenz im Bereich der Positivit�t zu erfassen. Dr�ngt sich dort n�mlich unumg�nglich die Frage nach dem Identit�t generierenden Konzept der zu unterscheidenden Entit�ten auf (Ich brauche einen Unterschied, um unterscheiden zu k�nnen; ich mu� unterschieden haben, um einen Unterschied zu markieren.), so f�hrt dies zwangsl�ufig wieder zur�ck auf jene klassisch-logisch nicht zu bew�ltigende Zirkularit�t, die sich auf dem Boden des Ursprungsdenkens ergeben mu�.

In der polykontexturalen und proemial vermittelten Notation zweier unterschiedlicher Kenogramme entf�llt jedoch das Problem eines solchen Konzeptes, da ihre Funktion allein darin besteht, das jeweilige "nicht" gegen�ber dem Anderen zu markieren, wobei sie im gleichen Moment - von jeglicher Substantialit�t befreit und im proemialen Umtausch situiert - auch �ber den Verdacht der an dieses Konzept gekn�pften Identit�t erhaben sind. Damit erscheint eine Kenogrammsequenz, der G�nther den Namen Morphogramm gibt, dann eigentlich als Einschreibung des Unterschiedes, der diff�rance in ihrem gedoppelten Gehalt. Denn nun ist allerst die M�glichkeit gegeben, Unterschiedenes und Unterscheidendes in eine Form zu bringen, die nicht mehr der Frage der Vorg�ngigkeit des einen oder anderen unterliegt. Hiermit w�ren also die positivsprachlichen Ein- und Umgrenzungsversuche Heideggers und Derridas in die konsitente Form der Morphogrammatik �berf�hrt.

Andererseits bedeutet eine solche Struktur von Leerformen, innerhalb derer die monokontexturale Starrheit des Identit�tstheorems sowie des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten zugunsten einer proemial vermittelten Dynamik hinsichtlich Operator/Operand aufgegeben ist, da� sich die selbst f�r den so abstrakten Formalismus Spencer Brown's noch un�berwindlich stellende Frage der �berdetermination und Identit�t nun in einem das Ursprungsdenken endg�ltig verabschiedenden Formalapparat aufheben l��t. Denn ben�tigte Spencer Brown den in den infiniten Regre� f�hrenden Ausweg des re-entry, um die Selbstreferentialit�t der Unterscheidung zu gew�hrleisten, so bietet die Proemialit�t von Operator/Operand, Unterscheidendem/Unterschiedenem hier erstmals die M�glichkeit, Linearit�t und temporaler Sukzession vollst�ndig zu entkommen, um an deren Stelle eine wechselseitige Gleichurspr�nglichkeit zu installieren, und zwar in einer begrifflich und methodisch konsistenten Form.


Footnotes

[1]vgl. G. Bateson: �kologie des Geistes. Frankfurt/M 31990, etwa S. 353; 408; 582

[2]G. Spencer Brown: Laws of Form. New York 1972

[3]a.a.O., S. 1

[4]M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache. Pfullingen 1959, S. 258f

[5]G. G�nther: Beitr�ge zu einer operationsf�higen Dialektik. Hamburg 3 Bd. 1976-1980, Bd. III, S. 285

[6]J. Derrida: Wie nicht Sprechen? S. 68

[7]a.a.O., S. 69

[8]J. Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt/M 1978, S. 37

[9]J.Derrida: Grammatologie. Frankfurt/M 21988, S. 82

[10]G. G�nther: Beitr�ge. Bd. III, S. 294

[11]R. Kaehr: Einschreiben in Zukunft. Bemerkungen zur Dekonstruktion des Gegensatzes von Formal- und Umgangssprache in der G�ntherschen Theorie der Negativsprachen und der Kenogrammatik als Bedingung der M�glichkeit extra-terrestrischer Kommunikation. In: ZETA 01 - Zukunft als Gegenwart. Berlin 1982, S. 191-238, hier S. 201

[12]J. Ditterich, R. Kaehr: Ein�bung in eine andere Lekt�re. Diagramm einer Rekonstruktion der G�ntherschen Theorie der Negativsprachen. In: PhJb.86, 1979 2. Hb., S.385-408, hier S. 387

[13]G. G�nther: Identit�t, Gegenident�t und Negativsprache. Hegel-Jahrbuch 1979, S. 22-88, hier S. 44

[14]a.a.O., S. 36

[15]G. G�nther: Beitr�ge. Bd. I, S. 216


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