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"Kurt Klagenfurt"
Technologische Zivilisation und transklassiche Logik
Eine Einf�hrung in die Technikphilosophie Gotthard G�nthers
� Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1995


II
2. Die Radikalisierung des Formalismus

Auf der Basis der klassischen, der zweiwertigen Logik gelingt es der abendl�ndischen Zivilisation, in der Gestalt der Maschine Objektivationen des menschlichen Geistes zu produzieren, die, existieren sie erst einmal, weitgehend von ihrem kulturellen Entstehungskontext unabh�ngig sind. Diesem Verm�gen liegt zugrunde eine weitestgehende Abstraktion von konkreten Inhalten in der formalen Logik, die Herausbildung des reinen Formalismus. Traditionelle Formen objektiven Geistes bedeuten stets die Festlegung bestimmter Inhalte einer Kultur, bestimmte Verhaltensweisen, bestimmte Glaubensinhalte etc. Eine Theorie, die sich von inhaltlichen Festlegungen l�st, kann auch von anderen Kulturen verstanden werden.

Die St�rke der operationalen Theorie, die dazu gef�hrt hat, dass sie sich weltweit gegen�ber allen anderen durchsetzen konnte, ist in zwei Eigent�mlichkeiten begr�ndet:

  1. Mit der Produktion der Theorie entsteht gleichzeitig die ihr gem��e Realit�t. Es handelt sich nicht um eine blo� erkennende Theorie, sondern um eine Theorie des Ver�nderns und Handelns.
  2. Sie ist universell, weil sie vom menschlichen Individuum abstrahiert und eine Weltgesellschaft konstituiert.

Diese beiden St�rken korrespondieren aber un�bersehbar mit entsprechenden Schw�chen:

  1. Die Produktivit�t der Theorie erfolgt unkontrolliert, gleichsam im Selbstlauf. Sie ger�t au�er Kontrolle, bis hin zur Selbstvernichtung der Menschheit.
  2. Sie mi�versteht sich selbst absolut, weil sie ihre Entstehung, ihre Historizit�t verleugnet. Daher verh�lt sie sich gegen�ber anderen Kulturen und Theorien kolonial. Vertreter anderer Kulturen werden als defizit�r eingesch�tzt, als "Wilde" oder als "Unterentwickelte".

Diese Logik ist an ihre Grenzen gekommen. Wir stehen historisch vor einem Dilemma: Man kann die Kritik an dieser Logik durchaus rational formulieren. Aber sie kann sich gegen�ber der operationalen Kraft der abendl�ndisch-klassischen Theorie nicht durchsetzen, weil sie deren Funktion nicht ersetzen kann. Versuche, sie menschlicher Kontrolle zu unterwerfen, Appelle, sie auf ein "menschliches Ma�" zu reduzieren, erscheinen angesichts der operationalen St�rke der klassischen Theorie als hilflos. Wer sollte die allgemeine Subjektivit�t, die gegen "objektive" Sachzw�nge sich durchzusetzen imstande w�re, auch verk�rpern? Der Aufruf zum Ausstieg aus unserer Zivilisation vermag ebenfalls kaum noch jemanden zu �berzeugen. Ein subjektiver Kraftakt, der dies dennoch erzwingen wollte, k�me wohl nicht umhin, die ganze Theorie und das Funktionieren ihrer Realit�t aufzuheben. Entsprechende Fluchtphantasien und Verhei�ungen sind denn auch der Weg, der gemeinhin vorgeschlagen wird. Eine effektive Kritik scheint letztlich nur als Schritt zur�ck m�glich, als Schritt, der die historische Trennung von Subjekt und Ojbekt wieder zur�cknimmt.

Die Kritik, wie sie von Gotthard G�nther an der zweiwertigen Logik formuliert wird, mag daher �berraschen. Sie geht in die entgegengesetzte Richtung: Er wirft ihr vor, in der Formalisierung "inkonsequent" und "unvollst�ndig" geblieben zu sein. Die zweiwertige Logik k�nne ihren Entstehungsproze� deshalb nicht reflektieren und sei deshalb der Kritik nicht zug�nglich, weil sie nicht wirklich formal ist, sondern letztendlich durch die absolute wahr-falsch-Unterscheidung inhaltlich gebunden bleibt. Die Grundlagen unserer Wissenschaft und Technik vollziehen ihre Formalisierung nicht konsequent genug. Alle logischen Operationen bleiben durch den Wahrheitsbezug letztlich gebunden an das Sein, an den Ist-Zustand. Die Wahrheit liege au�erhalb der Subjekte in der Beschaffenheit der Welt. Die Theorie sein an das Faktische gebunden. Wenn Subjektivit�t sich in mehr �u�ern soll, als nur in der linearen Fortsetzung der Vergangenheit, d�rfe sie nicht durch inhaltliche Bestimmung festgelegt sein. Subjektivit�t, die nicht im klassischen Sinne determiniert sein will, ben�tige die Freiheit des Willens. Diese Freiheit setzt - formal betrachtet - inhaltlich nicht-determinierte Werte voraus. Die klassischen Werte "wahr" und "falsch" sind bereits determiniert; sie lassen keine Subjektivit�t zu. Die T�tigkeit des Subjekts �u�ert sich aber gerade darin, die gegebene Welt zu �ndern, in den vorgegebenen Ablauf einzugreifen. Eingriffe, Ver�nderungen kennzeichnen menschliche Praxis.

Die Chance, den Selbstlauf der technologischen Systeme zu durchbrechen, besteht nach Gotthard G�nther darin, da� es gelingt, technische und gesellschaftliche Prozesse als das zu modellieren, was sie sind, als verselbst�ndigte menschliche Praxis und nicht als unab�nderliches Sein. Die unl�sbare Bindung der logischen Werte an das, was ist, an das Sein in der abendl�ndischen Logik, f�hrt zu dem fatalen Resultat, da� Praxis nur dann angemessen abgebildet werden kann, wenn sie im Sein nachtr�glich als Produkt erscheint. Das Werden, der Proze�, das M�gliche bleiben ausgeschlossen. Zukunft l�� sich nur darstellen als Verl�ngerung der Vergangenheit �ber die Gegenwart hinaus.

Ein entscheidender Schritt Gotthard G�nthers besteht darin, die Bindung der formalen Grundlagen an das Faktische zu l�sen. Er hebt die Gleichsetzung der logischen Grundelemente mit einer absoluten inhaltlichen Bindung ("wahr", "falsch") auf und macht somit den Weg frei f�r ein Denken jenseits der klassischen Seinsbindung. Dazu bedarf es einer transklassischen Logik.


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