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"Kurt Klagenfurt"
Technologische Zivilisation und transklassiche Logik
Eine Einf�hrung in die Technikphilosophie Gotthard G�nthers
� Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main


II
5. Ein Beispiel

An einem Beispiel sei illustriert, da� der G�nthersche Ansatz geeignet ist, aktuelle Produktionskonzepte abzubilden. �blicherweise wird in der industriellen Fertigung von einem zuvor definierten Produkt ausgegangen, das dann in der Reihenfolge der f�r seine Herstellung ben�tigten Arbeitsschritte erzeugt wird. Der Produktionsproze� findet seinem Abschluss in einer Funktions�berpr�fung, die im nachhinein Konstruktionsplan und Produkt miteinander vergleicht. Dieser Vorstellung zufolge finde die Herstellung eines Produktes in getrennten phase statt: Der materiellen Erzeugung geht eine Simulation des Produkts zur �berpr�fung des Funktionsplanes voraus. Nach Abschlu� des Herstellungsprozesses wird das Produkt dann auf Fehler durchgesehen. Mit Hilfe der neuen Computertechnologie und aufgrund der zunehmenden Komplexit�t vieler Produkte ergibt sich in j�ngster Zeit nun die M�glichkeit und die Notwendigkeit, die unterschiedlichen, bislang weitgehend linear hintereinandergeschalteten Produktionsphasen zeitgleich miteinander zu vernetzen, Verzweigungspunkte und Schleifen ins Produktionsgeschehen einzubauen. Aus einem linearen, hierarchisch strukturierten Produktionsproze� wird so ein parallel ablaufendes, sich gegenseitig beeinflussendes, heterarchisch gegliedertes Produktionsgeflecht. Planung, Herstellung und Funktionskontrolle sind auf mehrere gleichrangige Subsysteme verteilt, die untereinander vernetzt sind. Sie erg�nzen einander, lassen sich aber nicht auf einen gemeinsamen Definitionszusammenhang reduzieren. Deshalb kann von einem vordefinierten Objekt im �blichen Sinn nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr mu� Komplexit�t jetzt als zentrale Eigenschaft des Objektes angesehen werden. Es wird von unterschiedlichen Teilsystemen aus entworfen und produziert. Das hei�t, es ist nicht mehr Produkt eines von einem vorg�ngigen Konstruktionsplan bis ins letzte festgelegten, linearen Herstellungsprozesses, sondern wird in einem Netz parallel organisierter Abl�ufe, in der Regel an mehreren Orten, realisiert. Der unmittelbare Bezug zum materiellen Endprodukt verschiebt sich im Produktionsgeschehen in seiner Bedeutung zugunsten der Eigendynamik des Prozesses, der durch sich wechselseitig beeinflussende Impulse in Bewegung gehalten wird.

Das Objekt steht dabei im Schnittpunkt mehrerer Bestimmungsbereiche, deren Anzahl die Komplexit�t des Objekts festlegen. In jede Teildefinition des Objekts mu� also der jeweilige Bereich miteinbezogen werden, wobei die Schnittstellen zwischen den Bereichen als �berg�nge zu verstehen sind. Diese �berg�nge bedeuten aber nicht einfach nur Weitergabe von Information, da hier zugleich Teildefinitionen und Entscheidungen in bezug auf weitere relevante Bereiche und Proze�abl�ufe neu organisert werden k�nnen. Der �bergang von einem Bereich zum anderen erzeugt einen "Transfer-Zusammenhang", insofern die wechselseitigen Impulse nicht mehr die Gestalt von Information haben, "sondern von strukturellen Gestalten, die beim Bereichswechsel einen Bedeutungswechsel (Umdeutung), einen Strukturwechsel (Umschreibung), oder einen Funktionswechsel (Umfungierung) erfahren k�nnen."

Der Proze� der Produktion und die Strukturierung desselben verschr�nken sich also ineinander, und die dem klassischen technischen Proze� �u�erlichen Positionen, die ihn in seinem Ablauf bestimmten, werden nun in einem komplexen Organisationsgesetz miteinander verschr�nkt. Dabei bestimmt sich die Komplexit�t des Netzes aus der Anzahl der Bereiche, die intern autonom, untereinander jedoch vermittelt sind. Ein Organisationskonzept, das dieser Entwicklung Rechnung tragen will, mu� das klassische Verh�ltnis von Innen und Au�en derart modifizieren, da� der dem technischen Proze� vormals �u�erliche Organisationsaufwand konstitutiv einbezogen wird. Mit anderen Worten: Der Begriff der Umgebung bzw. der Umwelt, eine zentrale Kategorie innerhalb der systemischen Produktionskonzepte, mu� so komplex gefa�t werden, da� heterogene (Teil-)Prozesse aufeinander abgestimmt werden k�nnen.

Zwischen System und Umgebung gibt es je nach Komplexit�t eine vielseitige Relationalit�t, die von einem heterarchischen System realisiert wird. Obwohl auch in einem hierarchischen System unterschiedliche Standpunkte denkbar sind, m�ssen diese jedoch in ein Gef�ge verschiedener Relevanzstufen geordnet werden, wodurch die auftretenden Impulse, die in den Produktionsproze� einflie�en, eher als St�rung denn als Quelle von Kreativit�t interpretiert werden. Insofern k�nnen die strukturellen Voraussetzungen, die gegeben sein m�ssen, um mehrere Standpunkte als gleichrangige nebeneinander zu ordnen, in einem hierarchischen System nur unzureichend ber�cksichtigt werden. Im Gegensatz dazu kann in einem heterarchischen System, mittels Umdeutung, Umschreibung und Umfungierung, die Fixierung auf eine einmal gegebene Definition aufgel�st werden. Diese M�glichkeit, innerhalb des Konzeptes den Standpunkt zu wechseln, bedeutet zugleich, da� die Relationen zwischen gleichrangigen Systemen von einem jeweils anderen System aus betrachtet und beschrieben werden k�nnen. Nach klassischen Muster gibt es keinen zweiten gleichberechtigten Standpunkt. Das Oppositionspaar "System - Umgebung" ist gleichbedeutend mit "Innen - Au�en". Ein klassisch definiertes System kann die Dualit�t von "System - Umgebung" nicht als Ganzes verwerfen. Hierf�r mu� eine zus�tzliche Operation eingef�hrt werden, die "Transjunktion". Darin unterscheiden sich hierarchische und heterarchische Systeme: "Heterarchische Systeme sind dem Grad ihrer Komplexit�t entsprechend nicht blo� mit einem Negationsoperator ausger�stet, sondern mit mehreren. Daher sind sie multinegationale Systeme, die in der Lage sind,

  1. eine vielseitige System-Umbgebungs-Relationalit�t zu konstituieren und
  2. Umgebung nicht nur au�erhalb des Systems, sondern auch innerhalb des Systems zu bilden."

Weiter oben, im Zusammenhang mit unseren Er�rterungen �ber die Reflexionst�tigkeit, trat diese F�higkeit zur Multinegationalit�t als M�glichkeit des Systems auf, sich sowohl von seinen Denkgegenst�nden als auch von Seinen Denkprozessen zu distansieren, um auf diesem Weg nicht nur zur umgebenden Umwelt, sondern auch zu einer Umwelt "zweiten Grades" zu gelangen. Dies geschah, ebenso wie in dem hier vorligenden Kontext, durch die Einf�hrung einer neuen, einer nicht-klassischen Negation, die in ihrer doppelten Anwendung nicht mehr auf die Position der Ausgangsstufe zur�ckverweist. Dieser im Rahmen der Reflexionsanalyse als Vermittlung beschriebene Proze� zeigt hier nun analog, da� die interne Organisation jedes Systems klassisch ist, wobei sich die Grenzen jedoch durch Vermittlung als �berschreitbar erweisen. Das he�t, zwischen System und Umwelt gibt es sowohl einen Abbruch als auch die gleichzeitige M�glichkeit des �bergangs. Letzterer jedoch kann auf dem Boden der klassischen zweiwertigen Logik nicht bewerkstelligt werden. Ein solcher �bergang darf allerdings nicht mit Informationsaustausch verwechselt werden. Denn der Hinausgang von einem System in ein anderes generiert einen Bedeutungswechsel der Strukturen des Ausgangsbereichs im Sinn der Oben angef�hrten Umdeutung, Umschreibung, Umfungierung. Die verschiedenen Bereiche als autonome Zentren zu verstehen, bedeutet zum einen, da� das gegenseitige Anerkennen ihrer jeweiligen Gleichberechtigung eine heterarchische Struktur voraussetzt, da� zum anderen aber mit der Privaten Autonomie innerhalb eines Systems insofern eine Hierarchie angelegt ist, als sich die Autonomie eines Systems als ein lokaler Bereich verstehen l��t, innerhalb dessen die klassische Logik weiterhin vollst�ndige G�ltigkeit besitzt, weil er intern strikt zweiwertig und hierarchisch strukturiert ist.

Der Transfer von Information und der gleichzeitig stattfindende strukturelle Bedeutungswechsel zwischen den Bereichen wird von einem Mechanismus vollzogen, der zwischen den gleichrangigen Systemen vermittelt. Um diesen Vermittlungsproze� nachvollziehbar und beschreibbar zu machen, ist es notwendig, die Mechanik des �bergangs in einem Formalapparat darzustellen, denn nur so kann jenseits von Spekulationen ein techniches Artefakt entworfen werden, das den Anforderungen eines komplexen Produktionsproze� entspricht. Folgender Graph zeigt das Grundkonzept der Bereiche sowie der Schnittstellen zwischen den gleichrangigen Systemen.

graph Zi = Zweck
Mi = Mittel
Si = System, i = 1,2,3
-----> = Ordnungsrelation
vert-arrows = Umtauschrelation
| = Kongruenzrelation

"Der Wechsel zwischen S1 und S2 ist definiert aufgrund der Systemverschiebung als Umtausch der Zust�nde zugleich mit dem Systemwechsel, was zum Beispiel hei�t: Zweck f�r S1 wird Mittel f�r S2, und umgekehrt. In dieser Umtauschrelation ist ein wechselseitiger dynamischer �bergangsmodus gegeben. Nachdem beide Teilsysteme nicht in einem sukzessiven Koppelungsmodus einer Hierarchie stehen, kann jedes Teilsystem als aktives System autonom operieren, aber f�r den Transfer von Informationen mu� der Umtausch der Bedeutungen mitgedacht, bzw. realisiert sein. Die Transfers sind aufgrund der Verkn�pfungsgraphen, wenn man sie explizit [...] formuliert, gerichtete �berg�nge, wo beide Richtungen unterschiedliche Bedeutungszusammenh�nge realisieren"

[...]


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